Antisemitismus im Queerformat

Eine Verschwörungstheorie namens Pinkwashing.

Seit sich in politischen und akademischen Zusammenhängen die Stränge postkolonialer, queerer und feministischer Theorie unter dem Paradigma der Intersektionalität immer stärker kreuzen, verbreitet sich virulent die antisemitische Verschwörungstheorie des „Pinkwashings“. Unter dieser Chiffre wird der Vorwurf postuliert, der Staat Israel betreibe nur deshalb Gleichstellungspolitik für LGBT1, weil man damit Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Palästinenser_innen verschleiern könne. Hierfür legen sich einschlägige Aktivist_innen z.B. zum „Die-In“ vor israelische Stände auf lesbischwulen Stadtfesten, demonstrieren vor Events zum Thema „Israel“ und bekommen Redezeit auf CSD-Veranstaltungen (vgl. Blech 2016, Saathoff 2016). Kritische Veranstaltungen, werden gezielt gestört2. Diese Vorfälle reihen sich ein in die Integration von Antisemitismus in antirassistische Bewegungen, wie #BlackLivesMatter und aktuelle Frauenbewegungen, wie dem Women’s March durch antizionistische Pro-Palästina-Aktivist_innen. Eine der Mitorganisatorinnen, Linda Sarsour, wird zitiert, dass Frauen, die den Staat Israel unterstützen, keinen Platz im Feminismus hätten (Harkov 2017). „Pinkwashing“ fokussiert sich gezielt auf das Thema „LGBT-Rechte“, dessen Vertreter_innen sind jedoch mit den genannten antirassistischen und feministischen Bewegungen verbunden. In diesem Essay liegt der Schwerpunkt auf „Pinkwashing“ als antisemitische Verschwörungstheorie. Zudem werden Verbindungen von Verkünder_innen des „Pinkwashing“ mit antisemitisch unterwanderten Bewegungen beleuchtet.

„Pinkwashing“ wurde erstmals um 2010 breit in die Welt getragen, als die queerfeministische Theoretikerin Jasbir Puar in einer englischen Zeitung gegen Israel als Staat wetterte, der nur scheinbar eine liberale Demokratie sei und dafür die Rechte Homosexueller instrumentalisiere (vgl. Puar 2010). Israel würde mit den Rechten Homosexueller einen „homonationalistischen Propagandakrieg“ führen, der islamische Staaten inklusive der palästinensischen Autonomiegebiete als „barbarisch“ und „rückständig“ herabsetze (ebd.). So solle militärisches Vorgehen, wie gegen die sogenannte „Gaza-Flotille“ der Boycott, Desinvestment, Sanctions-Bewegung (BDS), legitimiert werden (ebd.).3 Dabei werde geflissentlich ausgeblendet, dass es auch in Israel Homosexuellenfeindlichkeit gebe. Assistiert wurde sie dabei u.a. von der queerfeministischen Ikone Judith Butler. Apologet_innen des „Pinkwashings“ bezichtigen alle LGBTs, die sich positiv zu Israel verhalten, der Komplizenschaft mit israelischem Nationalismus und der „Islamophobie“4 (vgl. Rabuza 2012). Zugleich lassen auch sie das Bild von Israel als „kolonialistischen Apartheid-Staat“ in der Welt zirkulieren.

Jasbir Puars Begriff des „Homonationalismus“ ist überdies zentral für postkoloniale queerfeministische Theorie und pauschalisiert jegliche Kritik an Zuständen von westlichen liberalen Demokratien an islamischen Staaten und deren Politik gegenüber Homosexuellen als „islamophob“ und „nationalistisch“ (vgl. Rabuza 2017). Die Politikwissenschaftlerin Nina Rabuza fasst die Essenz von Puars „Homonationalismus“-Begriff zusammen: Queers (hier: Homosexuelle) seien bis zu den Anschlägen von 9/11 mit dem Stigma des Unreproduktiven, Perversen und Todbringenden (AIDS-Krise) belegt gewesen. Danach seien sie als Konsumentengruppe und als Kontrastfolie für den „barbarischen Islam“ entdeckt worden (vgl. ebd.). Seither habe es gemäß Puar eine Verschiebung von Queer gegeben und nun seien Muslime die neuen Perversen, Unreproduktiven und Todbringenden (vgl. ebd.). Puar trennt nun zwischen „gay“ und „queer“, wobei „gay“ weiße Homosexuelle sind, die anschlussfähig an die nationale Gemeinschaft seien, wohingegen „queer“ alle als sexuell Perversen, Todbringenden und darum aus der Gesellschaft Ausgeschlossenen bezeichnet (vgl. ebd.). So wird bei ihr auch der islamistische Selbstmordattentäter „queer“, da er todbringend ist (vgl. ebd.). Diese theoretische Fehlleistung negiert die geschilderten Erfahrungen von LGBT aus islamischen Ländern, die vor drohenden Gefängnis- und Todesstrafen fliehen müssen oder zur Geheimhaltung verdammt sind (vgl. z.B. Schindler 2017 und Emcke 2016).

Israel vorzuwerfen, im Nahen Osten als einzige dort vorhandene liberale Demokratie die Rechte Homosexueller zu schützen, nur um von dem Scheitern des Friedensprozesses mit den Palästinensern abzulenken, ist derart grotesk, dass es den Journalisten Dirk Ludigs zu folgendem Vergleich inspirierte: An Kanadas liberaler LGBT-Politik, die auch im Kontrast zu einer katastrophalen Umweltpolitik, welche der indianischen Bevölkerung schadet, dekliniert er, dass „man so ziemlich jedem Staat mit LGBT-Rechten das Verdecken von einem Haufen Dreck am Stecken unterstellen kann“ (Ludigs 2017). Der Aktionsradius von „Pinkwashing“-Aktivist_innen bleibt jedoch nur auf Israel beschränkt und wird als „legitime Israelkritik“ verbrämt (vgl. ebd.). Der Antisemitismusforscher Samuel Salzborn definiert als wesentliche Bestandteile eines antiisraelischen Antisemitismus gemäß der Arbeitsdefinition der Europäischen Union:
„Das Abstreiten des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z .B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen; die Anwendung doppelter Standards, indem man von Israel ein Verhalten fordert, das von keinem anderen demokratischen Staat erwartet und verlangt wird; das Verwenden von Symbolen und Bildern, die mit traditionellem Antisemitismus in Verbindung stehen, um Israel oder die Israelis zu beschreiben; Vergleiche der aktuellen israelischen Politik mit der Politik der Nationalsozialisten; das Bestreben, alle Juden kollektiv für Handlungen des Staates Israel verantwortlich zu machen“ (vgl. Salzborn 2013, S. 10).

All das trifft auch auf das Postulat des „Pinkwashings“ zu. Mit dem Wort „Apartheid-Staat“ wird Israel mit dem historischen Unrecht der Rassentrennung in Südafrika gleichgesetzt, zum Ärger südafrikanische Aktivist_innen (Pogrund 2017). Die Reduktion des „Pinkwashing“-Vorwurfs auf Israel erfüllt die Bedingung des doppelten Standards, und die These der Ablenkung von Menschenrechtsverbrechen mit LGBT-Rechten schürt das altbekannte antisemitische Schreckgespenst vom „hinterlistigen Juden“ (Schindler 2017). Zudem zeigt der Furor, mit dem jüdischen und israelischen Menschen auch beim Thema LGBT-Rechte weltweit begegnet wird, sobald sie sich positiv zum Staat Israel verhalten, dass sie in Sippenhaft für die israelische Regierung genommen werden. Dieser Zorn trifft alle, die kritisch auf darin enthaltenen Antisemitismus hinweisen, der durch sie wieder salonfähig wird. In Deutschland betraf es die Feministin Merle Stöver, als sie im März 2016 einen Workshop zu Antisemitismus im aktuellen Feminismus halten wollte, worauf die Feministin Laurie Penny online einen Shitstorm gegen Stöver lostrat (Brülls 2016).

Fans von „Pinkwashing“ und zugleich der BDS-Bewegung sind auch einige prominente Feministinnen mit jüdischen Wurzeln, wie Butler und Penny, die den antisemitischen Gehalt vehement zurückweisen. Auch in Berlin wird entsprechender Aktivismus von einer Gruppe Israelis betrieben, die Ralf Balke in der Jungle World süffisant „Die Irren von Zion“ nannte (Balke 2017). Eine Berliner Protagonistin, Liad Hussein Kantorowicz, trieb die antisemitische Rezeption auf die Spitze, indem sie eine Performance aufführte, die einen vierzehnjährigen palästinensischen Selbstmordattentäter glorifizierte, wofür sie sich vom Kopf bis zur Poritze mit pinken Plastikmessern dekorierte.5

Nun zum Schluss kommend, muss betont werden, dass gerade in Deutschland, Österreich sowie Europa generell, Begriffen und Konzepten, die antisemitische Verschwörungstheorien verbreiten, entschieden entgegengetreten werden muss. Nicht Israel missbraucht LGBT-Rechte, sondern diejenigen, die dies als etwas Schlechtes hinstellen. Daher sollte dringend kritisch geprüft werden, was gerade an postkolonialen, queerfeministischen und intersektionalen Konzepten im politischen Aktivismus, in der Wissenschaft und in der Bildungsarbeit kursiert.

Fußnoten:

1: LGBT = Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender

2: Zuletzt beispielsweise ein Vortrag von Frederik Schindler im Rahmen der Polymorphia im Berliner SchwuZ (vgl. Amelung 2017).

3: 2010 enterte die israelische Marine ein Schiff der sogenannten „Gaza-Flotille“, mit der BDS-Aktivist_innen gegen die Situation in den palästinensischen Autonomiegebieten demonstrieren wollte, auf der sich jedoch auch gewaltbereite Hamas-Sympathisant_innen befanden. Die BDS-Bewegung wird inzwischen auch von dem antizionistischen Politikwissenschaftler Norman G. Finkelstein als antisemitisch bezeichnet. (siehe z.B.: https://newrepublic.com/article/122257/unpopular-man-norman-finkelstein-comes-out-against-bds-movement)

4: Zur Problematik des Islamophobiebegriffs siehe z.B. Maani 2016.

5: Siehe: „Terrorist Superstars, URL: https://www.facebook.com/events/373394949676080/

Literatur

Amelung, Till (2017): Stoppt die Trolle in unserer Community – auch von links!, Queer.de, 28.01.2017, URL: http://www.queer.de/detail.php?article_id=28093

Balke, Ralf (2017): Die Irren von Zion, Jungle World Nr. 6, URL: http://jungle-world.com/artikel/2017/06/55697.html

Blech, Norbert (2016): Berlin: Streit um „Pink Washing“ eskaliert, queer.de 18.06.2016, URL: http://www.queer.de/detail.php?article_id=26636

Brülls, Meike (2016): Jung-Feministin Merle Stöver. Provokateurin statt Kanzlerin, taz – die tageszeitung 14.08.2016, URL: http://www.taz.de/!5325228/

Emcke, Carolin (2016): Wie wir begehren, Frankfurt/Main: Fischer Verlag.

Harkov, Lahav (2017): Linda Sarsour: NYC’s queen of hate, New York Post 03.04.2017, URL: http://nypost.com/2017/04/03/linda-sarsour-ny-cs-queen-of-hate/

Ludigs, Dirk (2017): Beliebigkeit mit Sektenanschluss. Anti-Pinkwashing, Antisemitismus oder warum Hannah Ahrendt keine Queer-Aktivistin hätte werden können. In: Patsy l’Amour LaLove (Hg.), Beißreflexe. Kritik an queerem Aktivismus, Autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten, Berlin: Querverlag, S. 180 – 184.

Maani, Sama (2016): Warum wir glauben – und es nicht wissen. In: Patsy l’Amour LaLove (Hg.), Selbsthass & Emanzipation. Das Andere in der heterosexuellen Normalität, Berlin: Querverlag , S. 219 – 236.

Pogrund, Benjamin (2017): Why Israel Is Nothing Like Apartheid South Africa, The New York Times 31.03.2017, URL: https://www.nytimes.com/2017/03/31/opinion/why-israel-is-nothing-like-apartheid-south-africa.html?_r=0

Puar, Jasbir (2010): Israel‘s gay propaganda war, The Guardian 01.07.2010, URL: https://www.theguardian.com/commentisfree/2010/jul/01/israels-gay-propaganda-war

Rabuza, Nina (2012): Pinkwashing – Israels „schwuler Propagandakrieg“, Publikative.org, URL: https://publikative.org/2012/07/18/pinkwashing-israels-schwuler-propagandakrieg/

Rabuza, Nina (2017): Schwule Patrioten und „queere“ Jihadisten. Jasbir Puars Begriff „Homonationalismus“. In: Patsy l’Amour LaLove (Hg.), Beißreflexe. Kritik an queerem Aktivismus, Autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten, Berlin: Querverlag , S. 199 – 202.

Saathoff, Dierk (2016): Der Sozialismus der queeren Kerls, Jungle World Nr.27, 07.07.2016, URL: http://jungle-world.com/artikel/2016/27/54404.html

Salzborn, Samuel (2013): Israelkritik oder Antisemitismus? Kriterien für eine Unterscheidung, Neukirchener Theologische Zeitschrift 28(1), S.5-16.

Schindler, Frederik (2017): „Pinkwashing“. Das queere Ressentiment gegen Israel. In: Patsy l’Amour LaLove (Hg.), Beißreflexe. Kritik an queerem Aktivismus, Autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten, S. 185-190