Rechtsextreme Bezugnahmen auf aktuelle Geschlechterpolitiken zeichnen sich einerseits durch zutiefst biologistische Vorstellungen von Geschlecht aus, andererseits durch den unübersehbaren Wunsch nach einer Wiederherstellung der als „natürlich“ imaginierten Geschlechterordnung. Dabei haben Rechtsextreme nicht nur (staatlichen) Gleichstellungsmaßnahmen wie Gender-Mainstreaming oder Quoten den Kampf angesagt, sondern mobilisieren seit einigen Jahren auch gegen frühkindliche Sexualerziehung. In diesem Zusammenhang werden auch die antifeministischen Allianzen von einschlägig rechtsextremen Parteien und Gruppierungen auf der einen und vermeintlich besorgten Eltern auf der anderen Seite deutlich sichtbar.
„Wer die Natur liebt, sollte ihre Gesetze achten!“, lauten die ersten Worten einer „Film-Doku“ mit dem Titel „Porno, Peitsche, Pädophilie – Perversion im Klassenzimmer“ der deutschen Wochenzeitschrift Jungen Freiheit (JF). Das rund 50 minütige Pamphlet, das auch als Teil ihrer Kampagne „Gender mich nicht!“ fungiert, nimmt damit auf jene zeitgemäßen pädagogischen Ansätze der Sexualerziehung im frühen Kindesalter Bezug, die weit über die extreme Rechte hinaus unter dem Schlagwort und Kampfbegriff „Frühsexualisierung“ zum Bedrohungsszenarium für die heterosexuelle Ehe, Familie und Kinder inszeniert werden. Was in diesen Kreisen als „verstörend“, „skandalös“ oder auch „besorgniserregend“ verhandelt wird, meint jedoch eigentlich pädagogische Ansätze, die Kindern ein positives Körpergefühl, Abbau von Schamgefühlen und die Entwicklung einer verantwortungsvollen, selbstbestimmten Sexualität ermöglichen und dazu befähigen sollen, (sexualisierte) Gewalt zu erkennen und sich gegen diese zur Wehr zu setzen. In kindergerechter Weise werden Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit nur als eine von vielen gleichberechtigten Möglichkeiten geschlechtlicher und sexueller Lebens- und Begehrensformen präsentiert und von „natürlichen“ Vorstellungen von Sexualität Abstand genommen. Grund genug für konservative und rechte Kräfte Sturm zu laufen und die Natur gegen soziale und politische Veränderungen in Stellung zu bringen.
Verlinkt wird der erwähnte Clip nämlich nicht nur, wie es das Leser_innenspektrum der Jungen Freiheit vermuten lassen würde, auf einschlägig rechtskonservativen oder rechtsextremen Seiten. Im April 2016 ziert er auch die Startseite des Blog des stuttgarter Aktionsbündnisses „Demo für alle!“, einem Zusammenschluss von „Familienorganisationen, politischer Vereine, engagierter Einzelpersonen und Initiativen“, deren vorrangige politische Agenda sich gegen „Gender-Ideologie und Sexualisierung unserer Kinder“ richtet. [1] Nach französischem Vorbild, wo die „La Manif Pour Tous“ über 1,5 Millionen Menschen für homophobe Anliegen auf die Straße brachten, machen seit Anfang 2014 auch in Deutschland „besorgte Eltern“ Stimmung gegen Pläne, sexuelle Erziehung in den Lehrplänen der Sexualkunde in Schulen zu integrieren und können sich dabei einer Allianz aus konservativen Eltern, Rechtsextremen und christlichen Fundamentalist_innen als Unterstützer_innen gewiss sein. Dass Distanzierungen von homophobem Gedankengut rein rhetorisch bleiben, verdeutlichen nicht nur einschlägig bekannte Redner_innen auf den bundesweiten Demonstrationen, sondern vor allem auch die Ablehnung von „Genderismus“ bzw. der „Gender-Ideologie“, die als Ursache sämtlichen Übels ausgemacht wird, „Kinderseelen zerstören“ und zu „Entwurzelung“ führen würden.
„Staatliche Umehrziehung“
In der Diskreditierung der beschriebenen pädagogischen Ansätze bedienen sich ihre Gegner_innen altbekannter Methoden, die von selektiven Darstellungen über die Umdeutung von Diskursen hin zur Verbreitung von Unwahrheiten reichen. So ist in einschlägigen Veröffentlichungen und Wortbeiträgen von „ideologischer Stimmungsmache“, „staatlicher Umerziehung“, „Indoktrination“,„Manipulation“ oder der „Trans- und Homosexualisierung“ der Kinder und Schulen zu lesen und zu hören. Nicht selten inszenieren sich die selbsternannten Retter_innen der „Kernfamilien“ dabei als die eigentlichen Diskriminierten, da „Berufsschwule“ und „Genderbeauftragte“, so die beinahe zu wahnhaften Vorstellungen, bis in die Klassenzimmer die Erziehung ihrer Kinder bestimmen könnten, während die Rechte der Eltern ausgehebelt würden.
Der Diskurs fixiere sich zudem zu stark auf „Diskriminierungen, die in der sexuellen Identität begründet sind“, wohingegen andere Benachteiligungen außer Acht gelassen würden und so wird „Frühsexualisierung“ von der Auflösung der Familie bis hin zum Niedergang des Bildungssystems und des (deutschen) Volkes für so ziemlich alles verantwortlich gemacht. Wenig verwunderlich auch, dass in antifeministischer Manier Vaterlosigkeit als schwerwiegenderes Problem in Stellung gebracht und in weiterer Folge bejammert wird, dass (frauenfeindliche) Väterrechtsorganisationen nicht in gleicher Weise an Schulen dürften wie Sexualpädagog_innen. Umschreibungen wie „unnatürlich“, „pervers“ oder gar „pädophil“ zielen zudem nicht nur darauf ab, Homosexualität damit in Verbindung zu bringen, sondern alles von Heterosexualität abweichende zu stigmatisieren.
Aufrechterhaltung von Privilegien
Der Grund für das unglaubliche Mobilisierungspotential derartiger Diskurse kann vor allem darin gefunden werden, dass durch Sexualerziehung im frühen Kindesalter tatsächlich die Möglichkeit besteht, sexistischen, homo- und transfeindlichen Denkmustern präventiv vorzubeugen. In Aufruhr scheinen Rechtsextreme und ihre Verbündeten jedoch vor allem darin gefunden werden, dass durch Sexualerziehung im frühen Kindesalter tatsächlich die Möglichkeit besteht, sexistischen, homo- und transfeindlichen Denkmustern präventiv vorzubeugen. In Aufruhr scheinen Rechtsextreme und ihre Verbündeten jedoch vor allem deswegen zu sein, weil durch derartige Bestrebungen nicht nur dichotome Geschlechtervorstellungen ins Wanken geraten, sondern auch die traditionelle heteronormative, bürgerliche Kleinfamilie.
In diesem Sinne meint auch Andreas Hechler: „Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit als Möglichkeiten gleichberechtigt neben viele andere zu stellen, ist ein fundamentaler Angriff auf ein Verständnis, das Sexualität als „natürlich“ fasst und es darüber hinaus auf Fortpflanzung (der ‚Volksgemeinschaft‘) verengt. Der Wunsch nach Klarheit und Eindeutigkeit löst sich durch das Offenlassen von allen geschlechtlichen und sexuellen Möglichkeiten im Nichts auf – die ‚Volksgemeinschaft‘ beginnt zu bröckeln.“ [2]
Aktuell versucht auch eine neu gegründete europäische Bürger_inneninitiative „Mum Dad & Kids / Vater, Mutter, Kind“, unterstützt von nationalen Initiativen, eine Million Unterschriften „für eine klare und präzise Definition von Ehe und Familie im EU-Recht“ zu sammeln „um die Zerstörung von Ehe und Familie durch Neudefinition gemäß Gender-Ideologie abzuwehren“. Die heterosexuelle Familie wäre, so ihre antiquierte Vorstellung, „die Grundeinheit jeder Gesellschaft“ [3] zu der „nur ein Mann und eine Frau [in] gemeinsamer Elternschaft befähigt“ seien. Die Beschwörung dieser heterosexuellen Kleinfamilie stellt dabei jedoch nur einen kleinen Teil des Problems diskriminierender Politiken und Rhetoriken dar. Der weitaus größere, dahinter stehende Bedeutungszusammenhang ergibt sich durch die damit verbundene Naturalisierung des Sozialen. Das bedeutet, dass Liebes- und Begehrensformen, Sexualitäts- und Geschlechteridentitäten eben nicht als sozial geformte und wählbare und nebeneinander gleichberechtigte anerkannt werden, sondern mit dem Rückgriff auf die Natur behauptet wird, es gäbe eine natürliche, die als vermeintliche Norm verteidigt wird. Dementsprechend wird die Familie als „Keimzelle, Rückgrat und Leistungsträger“ der Gesellschaft dagegen in Stellung gebracht um vermeintlich natürliche Geschlechterordnungen und die damit verbundenen Privilegien aufrechtzuerhalten und abzusichern. Das vermeintliche Wohl der Kinder hingegen wird dabei lediglich für die eigenen Interessen instrumentalisiert.
Judith Goetz