Die FPÖ schreitet von Sieg zu Sieg. Der Linken inn- und außerhalb der Sozialdemokratie fällt dazu zwar einiges ein, trotzdem steht sie dem Erfolg hilflos gegenüber. Um die eigene Hilflosigkeit zu verstehen, müsste die Linke ihre eigene Kritik des Kapitalismus überdenken. Weil sie dies nicht leisten mag, entstand dieser Text.
Um die SPÖ steht es nicht gut. Bis auf Wien rutscht die Sozialdemokratie in jüngster Vergangenheit österreichweit von einer peinlichen Niederlage in die nächste. Die Lösungsansätze um dieser Lage zu entkommen sind in der Partei vielfältig. Gar nicht so wenige fordern eine Öffnung zur FPÖ hin. Aus der Linken, inn- und außerhalb der Partei schallt es dagegen ein alt bekanntes Wort: Verrat! Ja, die Sozialdemokratie hat es schon wieder getan.
Uneins ist sich die Linke nur, wann genau der Verrat stattgefunden habe. Jene, die an die Stelle von Kern treten und die Sozialdemokratie zu ihren Werten zurückführen wollen, datieren den Verrat irgendwann um das Jahr 1990, beginnend mit dem Abbau des Sozialstaates. Die Radikaleren, die vorhaben eine neue, nun wirklich linke Partei zu gründen, sehen den Anbeginn allen Übels mit dem Jahre 1914 verbunden. Unrecht haben sie natürlich beide.
Die Sozialdemokratie hat nichts verraten, sie ist sich immer treu geblieben, egal ob 1914, in den 1990 Jahren oder heute. Verändert haben sich die Verhältnisse. Doch gehen wir zurück ins 19. Jahrhundert. Dort beginnt die Geschichte der Sozialdemokratie.
Eine neue, wirklich linke Arbeiter_innenpartei entsteht
Die Sozialdemokratie konstituierte sich als Bündnis aus Radikaldemokrat_innen und einer ehemals utopisch-staatssozialistischen Arbeiter_innenklasse. Für diese Sozialdemokratie waren die staatsbejahenden Ideen Lassalles prägender als die Kritik der politischen Ökonomie von Karl Marx. Man soll sich davor hüten, die marxistische Phraseologie der Sozialdemokratie Ende des 19. Jahrhunderts allzu ernst zu nehmen. Dies war zur Erbauung der Partei-Intellektuellen gedacht und spiegelte sich weniger in der Praxis und politischen Stoßrichtung der Sozialdemokratie wieder. Der Kampf war vor allem einer, um eine andere Form des Staates und keiner gegen ihn. [1]
Bis zum Ende der Monarchie kämpfte die Sozialdemokratie um die Anerkennung der Arbeiter_innen als politische Subjekte, ihnen sollte ein gebührender Platz in der Gesellschaft zukommen.
Kurz gesagt: Partizipation statt Kommunismus. Unter diesen monarchischen Verhältnissen war sie trotzdem eine wirklich revolutionäre Partei. Ganz verzichtete man in der sozialdemokratischen Propaganda natürlich nicht auf die Schriften von Marx, oder besser was man dafür hielt. Mit der Mehrwerttheorie konnte man dem Bürger_innentum vorhalten, die Quelle des Reichtums sei die Arbeit. Doch die Arbeiter_innen hätten gar nichts von diesem Reichtum, weil sie durch die Kapitalist_innen im Produktionsprozess ausgebeutet würden.
Folgerichtig entstand die Forderung nach gerechtem Lohn und der Mitbestimmung in der Gesellschaft. Alles verkam zu einer Frage nach der Verteilung des Reichtums und den Machtverhältnissen in der Gesellschaft. Der Haken an der Sache: Dass Arbeit die Quelle des Reichtums ist, konnte schon bei bürgerlichen Ökonomen wie Adam Smith oder David Ricardo nachgelesen werden, dafür hätte man seine Nase nicht in die Schriften von Marx stecken müssen. Was man damals, mit Ausnahme des Kommunistischen Manifests auch nicht tat. Die Kritik von Karl Marx ging in eine ganz andere Richtung.
Kritik der Arbeit, Kritik der Produktionsverhältnisse, Kritik der Sozialdemokratie
Natürlich war auch für Marx die Arbeit die Quelle des Reichtums, aber eben nur im Kapitalismus und genau hier setzt seine Kritik an. Arbeit im Kapitalismus analysiert Marx als ein historisch-spezifisches Phänomen. Ohne Frage, Arbeit als Stoffwechselprozess zwischen Mensch und Natur ist überhistorisch. Natur wird der Mensch immer bearbeiten müssen, um etwas zu produzieren. Arbeit jedoch, die Wert schafft und alleinige Quelle des Reichtums ist, ist eine historisch-spezifische Erscheinung, die nicht mit der obigen allgemeinen Bestimmung der Arbeit zusammenfällt. Diese Funktion kommt ihr aufgrund der spezifischen gesellschaftlichen Verhältnisse zu. Wer dies verkennt, naturalisiert den Produktionsprozess zum schlichten Arbeitsprozess, losgelöst von jeder historischen Veränderbarkeit.
Aus dieser spezifischen Form der Arbeit, als alleinige Quelle des Reichtums, ergibt sich auch der verrückte Widerspruch des Kapitalismus. Aufgrund der fortwährenden Verbesserung der Produktivkräfte, die durch die kapitalistische Konkurrenz erzwungen wird, ist immer weniger Arbeitszeit notwendig, um potentiellen Reichtum in sachlicher Form zu produzieren. Gleichzeitig bleibt die Arbeitszeit die alleinige Quelle von Reichtum und engt ihn damit auf eine kapitalistische Form ein. Deshalb auch die Überproduktionskrisen und der Umstand, dass kapitalistischer Reichtum das Elend der Arbeiter_innen und Massenarbeitslosigkeit zur Voraussetzung hat.
In einer kommunistischen Gesellschaft [2] wäre dagegen nicht mehr die Arbeit, sondern die Wissenschaft und die Produktivkräfte Quelle des nun sachlichen Reichtums. Die Arbeitszeit könnte auf ein vernünftiges Minimum reduziert werden und trotzdem wäre die Gesellschaft im Ganzen reicher.
Dies ist auch der Grund für die harsche Kritik von Marx am Gothaer Programm (1875) der Sozialdemokratie. Dort schrieb die noch junge Partei: Die Arbeit ist die Quelle allen Reichtums und aller Kultur. Marx entgegnet diesem in bürgerlicher Ideologie befangenen Unsinn: „Die Arbeit ist nicht die Quelle alles Reichtums. Die Natur ist ebensosehr die Quelle der Gebrauchswerte (und aus solchen besteht doch wohl der sachliche Reichtum!) als die Arbeit, die selbst nur die Äußerung einer Naturkraft ist, der menschlichen Arbeitskraft. (…) Die Bürger haben sehr gute Gründe, der Arbeit übernatürliche Schöpfungskraft anzudichten; denn grade aus der Naturbedingtheit der Arbeit folgt, daß der Mensch, der kein andres Eigentum besitzt als seine Arbeitskraft, in allen Gesellschafts- und Kulturzuständen der Sklave der andern Menschen sein muß, die sich zu Eigentümern der gegenständlichen Arbeitsbedingungen gemacht haben. Er kann nur mit ihrer Erlaubnis arbeiten, also nur mit ihrer Erlaubnis leben.“
Es muss also unterschieden werden zwischen Reichtum in kapitalistischen Gesellschaften der als ungeheure Warenansammlung erscheint und deren Quelle die wertschaffende abstrakte Arbeit ist und dem sachlichen Reichtum, der in Form von Gebrauchswerten existiert und erst im Kommunismus realisiert werden könnte.
Dies haben weder die Sozialdemokrat_innen des 19. Jahrhunderts, noch die sich für Kommunist_innen haltenden Marxist_innen der III Internationale begriffen. Für sie war der Produktionsprozess einfach Arbeitsprozess und die Ungerechtigkeit der Gesellschaft durch Umverteilung des Reichtums aus der Welt zu schaffen. Dafür musste man sich nur selbst statt den Kapitalist_innen an die Spitze setzen. Kapitalismus wurde alleine als Klassenherrschaft der Kapitalisten definiert und nicht als Herrschaft des Kapitals, welche bis in die Produktion wirkt und dem es reichlich egal ist, ob über dem Parlament eine rote oder rot-weiß-rote Fahne weht.
Das Werk von Marx ist dagegen eine Kritik dieser kapitalistischen Form der Arbeit, die revolutionär überwunden werden muss und keine Kritik der Gesellschaft vom Standpunkt der Arbeit aus. Die Arbeit soll weder als Partner des Bürgertums anerkannt, noch ihr zur Befreiung verholfen werden. Es geht eben nicht darum, den am Wert gemessenen Reichtum gerecht zu verteilen und sich selbst statt der Bourgeoisie an die Spitze der Klassengesellschaft zu stellen.
Weil die historisch spezifische Form der Arbeit und des Reichtums im Kapitalismus von Seiten der Sozialdemokratie und den Marxist_innen der III Internationale überhistorischer Charakter zugesprochen wurde, naturalisierten sie das Produktionsverhältnis. Eine solche unvollständige Kritik am Kapitalismus kommentierte Marx im 3. Band des Kapitals folgendermaßen: „Die Ansicht, die nur die Verteilungsverhältnisse als historisch betrachtet, aber nicht die Produktionsverhältnisse, ist einerseits nur die Ansicht der beginnenden, aber noch befangenen Kritik der bürgerlichen Ökonomie. Andererseits aber beruht sie auf einer Verwechslung und Identifizierung des gesellschaftlichen Produktionsprozess mit dem einfachen Arbeitsprozess wie ihn auch ein abnorm isolierter Mensch ohne alle gesellschaftliche Beihilfe verrichten müßte. Soweit der Arbeitsprozess nur ein bloßer Prozess zwischen Mensch und Natur ist, bleiben seine einfachen Elemente allen gesellschaftlichen Entwicklungsformen desselben gemein. Aber jede bestimmte historische Form dieses Prozesses entwickelt weiter die materiellen Grundlagen und gesellschaftlichen Formen desselben.“
Von einer revolutionären Partei zu einer staatstragenden
War die Sozialdemokratie unter monarchischen Verhältnissen mit ihren Forderungen noch eine revolutionäre Partei, wurde sie unter demokratischen Verhältnissen staatstragend. Denn ab 1918 waren die meisten ihrer revolutionären Forderung nach Mitbestimmung der Arbeiter_innenklasse verwirklicht. Auch die sozialpatriotische Stoßrichtung der Sozialdemokratie, die 1914 ihre hässliche Fratze zeigte, war kein Verrat an der Idee der Sozialdemokratie, sondern war der unverhüllte Ausdruck ihres staatssozialistischen Programms. Nach dem Nationalsozialismus beteiligte sich die Sozialdemokratie führend an der Rekonstruktion des Kapitalverhältnisses.
Nicht rekonstruiert wurden dagegen die Arbeiter_innenbewegung und das Bürger_innentum.
Sie konnten nicht mehr dort anschließen, wo sie 1933/34 aufgehört hatten. Die neue gesellschaftliche Qualität bestand in der selbstständigen Fortführung von gesellschaftlichen Funktionen auf Grundlage des Kapitalverhältnisses durch die Arbeiter_innenklasse. Rekonstruktion der Gesellschaft durch ihre erhofften Überwinder. Und die Sozialdemokratie verwirklichte endlich ihre Vorstellung von Sozialismus: Herrschaft des Wertes, freiwillig getragen von den Beherrschten.
Der Erfolg der Sozialdemokratie
Der Erfolg der Sozialdemokratie nach 1945 basierte vor allem auf einem: In Zeiten des Wirtschaftswunders trat sie für erhöhte Bestechungszahlungen an die Beschäftigten ein, um ihnen ihr in homöopathischen Dosen noch vorhandenes rebellisches Verhalten auszutreiben. Praktisch waren diese Almosenzahlungen an den Erfolg der österreichischen Wirtschaft gekoppelt.
Denn wer den Sozialstaat will, muss auch das Kapital wollen und bevor der Staat sozial ist, muss er erst mal die Kapitalreproduktion sicherstellen. Was dann übrig bleibt, kann verteilt werden. Irgendwann in den 1970er war das auf Judenmord und Eroberungskrieg basierende Wirtschaftswunder zu Ende. Damit fuhr die SPÖ noch zehn Jahre gut, bis Jörg Haider Mitte der 1980er die FPÖ-Spitze erklommen hat. Schnell drang die FPÖ in Wähler_innenschichten ein, die bisher traditionell sozialdemokratisch waren. Es war die Rede von einer ‘Arbeiterpartei’ neuen Typs. Die Linke verstand den Erfolg der FPÖ bei den Arbeiter_innen nicht. Für sie war und ist die Partei des Dritten Lagers eine anti-soziale Partei, die Unternehmer_inneninteressen vertritt. Doch anders als die linken Anhänger_innen der Sozialstaats-Illusion, wussten die Arbeiter_innen aus eigener Erfahrung, dass ihr Wohl, wenn sie nur Arbeiter_innen sein wollen und eben kein revolutionäres Proletariat, notwendig mit dem Schicksal des heimischen Kapitals verbunden ist. Dies hatte ihnen die Sozialdemokratie durch ihre Politik eingebläut.
Den Erfolg des nationalen Kapitals hat auch die FPÖ im Sinn. Ihr Programm will eine international wettbewerbsfähige österreichische Wirtschaft. Deshalb sollen die Lohnkosten, wie allgemein die Steuern gesenkt und der Staat verschlankt werden. Wer nichts für den Erfolg des nationalen Unternehmens beiträgt, soll auch nicht mehr vom schlankeren Sozialstaat profitieren. Menschen mit der ‚falschen‘ Herkunft oder fehlendem österreichischen Pass schon gar nicht. Gerade hier sieht der/die geneigte FPÖ-Wähler_in Einsparungspotential, welches den ‚echten‘ Österreicher_innen zu Gute kommen soll.
Dem Erfolg der FPÖ steht die Linke in und außerhalb der SPÖ hilflos gegenüber. Dies vor allem aufgrund der beschriebenen Naturalisierung der Produktionsverhältnisse. Denn damit steht sie immer noch auf dem Standpunkt der bürgerlichen Gesellschaft, egal mit welchen pseudoradikalen Phrasen sie sich auch darüber erhaben fühlen mag. Doch diese Gesellschaft ist aufgrund ihrer inneren Tendenz kaum noch menschenfreundlich zu gestalten und der Sozialstaat der 1970er Jahre ist nicht mehr wiederherzustellen. Denn wenn aufgrund der Produktivkraftsteigerung immer weniger Arbeit gebraucht wird um zu produzieren, wird die sinkende Zahl der Arbeiter_innen für den Sozialstaat zum Problem. Die Beitragszahler werden weniger und die Empfänger mehr. Damit hat die Linke der FPÖ nichts Grundsätzliches entgegen zu setzten.
Kommunistische Kritik müsste den Arbeiter_innen, denen es wirklich immer schlechter geht, mit Forderungen zur Seite stehen. Gleichzeitig müsste aber eine radikale Kritik an der kapitalistischen Arbeit geübt werden. Die Kritik steht jedoch vor einem großen Problem: Ein revolutionäres Subjekt, wie das Proletariat des 19. Jahrhunderts, ist weit und breit nicht in Sicht und die kommunistischen Kritiker_innen sind deshalb im Moment auf sich alleine gestellt.
Michael Fischer
Fußnoten:
1: Zu dieser Zeit kam auch der Revisionismus eines Bernstein auf, dieser darf jedoch nicht als Abweichung begriffen werden, er war lediglich der Versuch, die Theorie der Sozialdemokratie mit ihrer Praxis zu versöhnen.
2: Der Kommunismus hat einen schlechten Ruf. Nicht ohne Grund. Die meisten die sich heute Kommunist_innen nennen sind verrückt und die kommunistischen Regime waren alles andere als menschenfreundlich. Marx verstand unter Kommunismus jedoch etwas fundamental anderes: Die produktiven Potentiale der Gesellschaft sollten entfesselt und die Versprechungen von Glück und Individualität einlösen werden. Die Sowjetunion tat dies nicht, ganz im Gegenteil. Dafür kann Marx jedoch wenig, wie auch dieser Text beweisen soll.
Literatur:
- Karl Marx: Kritik des Gothaer Programms, http://www.mlwerke.de/me/me19/me19_013.htm Zugriff 16. Mai 2016.
- Karl Marx: Das Kapital. Dritter Band, Berlin 2008.
- Moishe Postone: Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft. Eine neue Interpretation der kritischen Theroie von Marx, Freiburg 2003
- Willy Huhn: Der Etatismus der Sozialdemokratie. Zur Vorgeschichte des Nazifaschismus, Freiburg 2013