Feiern ohne Übergriffe
Alle Menschen sollen voll am öffentlichen Leben Teil nehmen, ohne Angst vor Gewalt oder Übergriffen haben zu müssen. Tatsächlich aber leben wir in einer Gesellschaft, welche durchzogen ist von Sexismen, Rassismen, Homophobie, Transphobie und anderen Diskriminierungsverhältnissen, was dazu führt, dass nicht alle Menschen gleich (sicher) den öffentlichen Raum nutzen können. In diesem Artikel schreibe ich von Parties, vor allem über Campus-Parties, beziehungsweise linke/queer-feminstische Parties, in welchen sich gesamtgesellschaftliche Verhältnisse fortsetzen 1 . Ich möchte aber auch über Strategien und Handlungsoptionen schreiben, die dazu führen können/sollen, Parties für Frauen* – und letztlich für alle Menschen – zu einem sicheren/sichereren Ort zu machen.
ZUR RELEVANZ EINER AUSEINANDERSETZUNG MIT SPRACHE UND BEGRIFFEN
Vorab möchte ich erklären, mit welchen Begriffen ich arbeiten werde und warum.
Obwohl Gewalt von allen Menschen ausgehen kann, ist die Mehrzahl der Gewalt ausübenden Menschen männlich – deswegen werde ich auch im Folgenden von „Tätern“ sprechen. Die Anführungszeichen verwende ich um darauf hinzuweisen, dass dieser Begriff für mich nur einen „Hilfsbegriff“ darstellt, aus Ermangelung von, in meinen Augen, geeigneteren Begriffen. Das Sternchen steht für ein Bewusstsein um Konstruktion und Diskurse um den Begriff des „Täters“. Wenn ich von gewaltbetroffenen Personen schreibe, schreibe ich von „Betroffenen“, da für mich sowohl die Begriffe „Opfer“, als auch „Überlebende“ problematisch sind – damit schreibe ich aber Menschen nicht vor, wie sie sich selbst bezeichnen .
Durch Sprache (und Diskurse um bestimmte Begriffe) wird Wirklichkeit geformt und reproduziert Wirklichkeit, weswegen gerade bei einem derart sensiblen Thema wie (sexueller) Gewalt eine bewusste Reflexion der im jeweiligen Kontext verwendeten Begrifflichkeiten unabdingbar ist. Dabei gibt es nicht eine “richtige” oder “falsche” Verwendung bestimmter Bezeichnungen. Bei einer Auseinandersetzung mit (sexueller) Gewalt werden vielmehr unterschiedliche Begriffe verwendet, manchmal werden sogar Bezeichnungen eingeführt, da vorhandene Begriffe bereits zu stark konnotiert sind. Oder aber oftmals nicht geeignet sind, Situationen gerecht zu werden, in denen eine eindeutige Einteilung in “Täter” und “Opfer” nicht möglich ist, da zum Beispiel beide involvierte Gewalt angewandt haben oder von Gewalt betroffen sind. Für nicht eindeutige Situationen bietet die deutsche Sprache leider nur begrenzte Möglichkeiten, diesen gerecht zu werden und zu benennen.
Unter sexistischen Übergriffen bzw. sexueller Gewalt verstehe ich jede unerwünschte (sexuelle) Handlung, die ohne Konsens erfolgt und die dazu führt, dass die davon betroffene Person sich unwohl, ängstlich oder belästigt fühlt, und verletzt ist. Ein Zitat aus einem Forschungsbericht des CASA House zeigt nicht nur (weitreichende) Folgen sexueller Gewalt auf, sondern auch deren Komplexität:
“Sexual assault is both a consequence and a reinforcer of the power disparity existing between men and women. It is a violent act of power which in the main, is carried out by men against women and children. Sexual assault occurs along a continuum of violent behaviour which includes any sexual behaviour which makes the recipient feel uncomfortable, harassed or afraid. The impact of sexual assault on both the individual victim/survivor and society is multifaceted and complex. It includes emotional, social, psychological, legal, health and political consequences. The impact of sexual assault can be compounded by factors relating to the stratification of society on the basis of socio-economic class, age, ethnicity and race.” (s.Casa S. 3).
Ich werde hier nicht ausführlich auf Gewaltdiskurse eingehen, nur soweit, um die Wichtigkeit klarer und reflektierter Termini herauszustreichen. In einem Text von CARA, weisen diese etwa auf die Problematik um Diskurse bestimmter Begrifflichkeiten hin – „[s]urvivors are considered „damaged“, „pathologized beyond repair. Aggressors are perceived as „animals“, unable to be redeemed or transformed“ (vgl. CARA.: 64). Es gilt also nicht nur eine Sprachpraxis zu entwickeln, welche nicht in hegemonialen Herrschaftsverhältnissen verortet ist, sondern vielmehr auch auf bestehende Diskurse einzugehen und ein Wissen, beziehungsweise Bewusstsein um diese zu haben.
KONSENS – ODER: NO MEANS NO AND YES MEANS YES
Was heißt Konsens und wie sieht Konsens aus? Konsens heißt, dass zwei (oder mehrere) Personen zu einer sexuellen Interaktion zustimmen. Zustimmung sollte am besten durch Nachfragen eingeholt werden. Zustimmung kann dabei nicht nur in einem sexuellen Kontext praktiziert/eingeholt werden – auch in einer nicht direkt sexuellen Interaktion, wie etwa die Umarmung zur Begrüßung zwischen Freund_innen, Kuscheln und dergleichen, kann, eine konsensuale Praxis entwickelt werden. 2
Allgemein gilt, dass “Nein” auch “Nein” bedeutet und nicht “Vielleicht”, “Streng dich mehr an”, oder “Später”. Konsens (affirmative consent) soll zu der spezifischen sexuellen Handlung verbal eingeholt werden und eine bewusste und freiwillige Zustimmung sein. Schweigen, kein Widerspruch oder kein Widerstand heißen nicht, dass eine Person Konsens für die jeweilige Handlung gegeben hat.
Wenn Konsens gegeben wurde, heißt das nicht, dass andere sexuelle Praxen für diese Person in Ordnung sind. Sie kann den gegeben Konsens wieder zurücknehmen und selbst wenn für eine sexuelle Praxis einmal Konsens gegeben wurde, heißt das nicht, dass das nächste Mal für diese Handlung automatisch auch Konsens besteht. Sollte mensch mit einer Person in einer Beziehung sein oder gewesen sein, sollte nie davon ausgegangen werden, dass allein diese Tatsache Konsens ersetzt oder dafür steht.
Prinzipiell gilt, dass alle Menschen unterschiedliche Grenzen haben. Diese Grenzen sind nicht “objektiv” von außen wahrnehmbar oder erfassbar, dementsprechend ist es sinnlos nach immer gültigen Definitionen oder Begrifflichkeiten zu suchen, um diese quasi für alle immer und unabhängig vom jeweiligen Kontext anzuwenden.
Es ist wichtig, dass die Definitionsmacht bei Betroffenen liegt. Dass sie benennen können, wo eigene Grenzen liegen und ob sie überschritten wurden; und wann eine unerwünschte Handlung eine unerwünschte Handlung war.
BEDEUTUNG VON ALKOHOL UND GESCHLECHTSSPEZIFISCHEN STEREOTYPEN
Partys gehören für die meisten Studierenden zum Studium und sind genauso wie Alkohol ein normativer Bestandteil desselben. Alkohol ist in diesem Kontext relevant, da sexuelle Übergriffe und Alkoholkonsum oft in Zusammenhang stehen. Dazu gibt es zahlreiche Studien, die sich unter anderem mit Trinkmotivationen und deren Zusammenhängen mit sexuellen Übergriffen auseinandersetzen (vgl. Abbey, Novik et.al. 2011). Diese Studien weisen nach, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen* von Übergriffen betroffen sind, mit zunehmenden Alkoholkonsum oder dem Konsum anderer Drogen steigt. Es gibt zahlreiche Gründe, Alkohol zu konsumieren:
“Motivations ascribed to college drinking include the desire for power and assertion […], a coping mechanism for emotional distress […], or as a means of fitting in with others or easing social awkwardness […]” (Novik et. al 2011:2).
An Alkohol sind geschlechtsspezifische Stereotype gebunden, welche nicht nur unterschiedliche Bilder von Frauen* und Männern* beinhalten, sondern in weiterer Konsequenz auch zu entsprechenden Umgängen mit tatsächlichen Übergriffen führt. Während Alkoholkonsum von Männern* als männlich gewertet wird, werden Frauen*, welche alkoholisiert sind als “leicht zu haben” bewertet. Kommt es zu einem Übergriff, dann wird die Handlung des “Täters” oft heruntergespielt, entschuldigt und verharmlost, während der Betroffenen die Schuld für den Übergriff gegeben wird. Trinkt eine Frau* Alkohol oder wird als alkoholisiert wahrgenommen, erhöht das wiederum die Wahrscheinlichkeit angemacht oder belästigt zu werden.
Wenn Männer* trinken und sich daneben benehmen, wird ihnen die Verantwortung für ihr Verhalten oft abgenommen – da sie alkoholisiert waren. Es heißt etwa, dass sie sonst “eh nett sind”, oder “voll coole Typen”. Frauen* aber wird die Verantwortung für das Handeln anderer gegeben. Sie haben dafür zu sorgen, dass nichts passiert und müssen in Kontrolle bleiben. Derartige Logiken sind wiederum vor einem gesamtgesellschaften Hintergrund zu sehen, in welchem “Täter”/”Opfer” Umkehr alltägliche Praxis ist, genauso wie Victim-Blaming und Verharmlosung von Übergriffen.
WELCHE STRATEGIEN/MÖGLICHKEITEN GIBT ES, PARTIES SICHERER ZU MACHEN?
Was heißt das jetzt und wie können konkrete Strategien und Strukturen aussehen, um Partys möglichst sicher für Frauen* (bzw. alle) zu machen? Es gibt bereits zahlreiche (pro-)aktive Strategien und Vorschläge, die auch mitunter in Wien (in bestimmten politischen Kontexten) angewendet werden und wurden. Allgemein können Strategien auf mehreren Ebenen angewandt werden – prinzipiell gilt, dass ALLE dafür verantwortlich sind, dass es allen gut geht.
Im Vorfeld der Party kann darauf geachtet werden, wie die Party beworben wird.
Welche Bilder werden verwendet und wie werden Frauen* und Männer* darauf abgebildet? Welche Nachricht(en) wird (werden) mit dem Abgebildeten suggeriert? 3
Auf der Party selbst gibt es mehrere Möglichkeiten, einen sichereren Raum zu schaffen: die Organisation eines Awareness-Team, die zur Verfügungstellung eines Rückzugsortes, die Bereitstellung von selbstorganisierten Frauen*nachttaxis. Auch können Poster oder Schilder aufgehängt werden (z.B. zum Zustimmungskonzept 4 ), außerdem kann eine Einladungspolitik (oder eine “Hausordnung”) formuliert werden und sichtbar angebracht werden, in welcher klar gemacht wird, dass auf dieser Party kein Platz für Sexismus, oder jegliche Form von Diskriminierung oder Gewalt ist.
Die Organisation von Awareness Teams auf Partys ist eine gute Strategie, um vor Ort zu intervenieren, bzw. die Party zu “beobachten”. Auf (links-) feministischen Partys gehören Awareness Teams bereits zum Standard, sollten aber auf allen größeren Partys selbstverständlich sein. Das Awareness Team hat mehrere Funktionen bzw. Aufgaben. So sind sie Ansprechpersonen auf der Party, intervenieren, oder bieten Unterstützung 5 . Ebenso können präventive Strategien in der Kleingruppe erarbeitet werden – gerade wenn es um Alkoholkonsum geht. Gründe, warum aufeinander aufgepasst wird, sind verschieden. Wenn Männer etwa wissen, dass sie bei Alkoholkonsum zu übergriffigem oder aggressiven Verhalten neigen, können sie sich mit einer Freund*in absprechen, die nüchtern bleibt und aufpasst – oder sie verzichten einfach auf Alkohol. In Frauen*gruppen passen Frauen* aufeinander auf, damit nichts passiert.
Eine wichtige und längerfristige Strategie ist letztlich, eine proaktive Bewusstseinsbildung zu verfolgen (Vorträge, Zines, Plakate…), in welcher etwa über den Zusammenhang von Alkoholkonsum und Übergriffen, Geschlechterstereotypen und Alkohol aufgeklärt wird, beziehungsweise wie Konsens/Zustimmung aussieht.
FAZIT
Sexistische Erfahrungen von Frauen* auf Partys sind keine isolierten, auf den Raum Party beschränkten – vielmehr müssen diese Erfahrungen immer in einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang betrachtet und analyisiert werden. Angst vor Übergriffen kann das Leben beeinträchtigen, kann einschränken wie der öffentliche Raum benutzt wird und kann einem auch schlichtweg den Spaß an Partys verderben. Deswegen hoffe ich, dass zumindest in einem linken/feministischen Umfeld, welches den Anspruch auf eine antisexistisch/antihomophobe/antitransphobe/antirassistische Praxis hat, diese zukünftig konsequenter umgesetzt wird, dass Orga-Teams entsprechende Vorbereitungen treffen und dass generell in der Szene mehr für eine Bewusstseinsbildung und Prävention getan wird – damit auf Parties alle Spaß haben können.
Fußnoten:
1: Hier sei etwa an die Parties im Rahmen der Audimaxbesetzung 2009 gedacht, auf der es gehäuft zu übergriffigem/sexistischem Verhalten kam – zum Nachlesen z.B. http://www.oeh.ac.at/organisation/referate/referat-fuer-feministische-politik/archiv/feministisches-zur-audimaxbesetzung/, oder http://diestandard.at/1256255957984/Unibesetzung-in-Wien-Berichte-ueber-sexistische-Uebergriffe
2: Vergleiche dazu auch das Zustimmungsplakat der UG DEFMA: http://defma.blogsport.de/images/dt_v2_2_p.pdf ;oder das Zine Learning good consent: http://defma.blogsport.de/images/learninggoodconsent2.pdf
3: Siehe etwa diesen Flyer: http://fc05.deviantart.net/fs70/i/2013/301/3/8/glow_stick_party___flyer_template___fb_cover_by_louistwelve_design-d6s50cz.jpg
4: http://maedchenblog.blogsport.de/images/nein.png
5: Vergleiche dazu: http://afk.blogsport.de/images/Leitfaden.pdf
QUELLEN
- Abbey, Antonia (2002): Alcohol-Related Sexual Assault: A Common Problem among College Students (http://www.jsad.com/jsad/downloadarticle/AlcoholRelated_Sexual_Assault_A_Common_Problem_among_College_Students/1594.pdf)
- Awareness Leitfaden für Partys (http://afk.blogsport.de/images/Leitfaden.pdf )
- CARA: Taking risks:implementing grassroots community accountability strategies http://www.solidarity-us.org/files/Implementing%20Grassroots%20Accountability%20Strategies.pdf
- Howard, Donna Elise et al. (2007): Staying Safe While Consuming Alcohol: A Qualitative Study of the Protective Strategies and Informational Needs of College Freshman (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2636553/pdf/nihms-89142.pdf)
- Novik, Melinda G. et. al. (2011): Drinking Motivations and Experiences of Unwanted Sexual Advances Among Undergraduate Students. In: J Interpers Violence. 2011 Janurary; 26(1):34-49.