Interview mit einer Naturwissenschaftlerin
Der Frauen*anteil in den Naturwissenschaften allgemein und an der Universität Wien im besonderen ist nach wie vor erschreckend gering [1] und je weiter der Blick die Unihierarchie hinauf wandert, desto geringer ist er. Im folgenden Interview spricht die Dissertantin E.L. über ihre Erfahrungen mit Sexismus und über Hindernisse, die jungen Wissenschaftlerinnen in den Weg gelegt werden. E.L. hat an der Universität Wien in einem naturwissenschaftlichen Fach studiert und arbeitet mittlerweile an einem Forschungsprojekt im Rahmen ihrer Dissertation. Sie ist Feministin und hat sich eingehend mit den Themen Hierarchie und Geschlecht auseinandergesetzt.
Nach eigenen Angaben hat ihr das geholfen zu verstehen, dass viele der Schwierigkeiten, mit denen sie alltäglich konfrontiert wird, nichts mit ihr selbst oder ihren Leistungen zu tun haben, sondern Teil eines strukturellen Problems sind.
Wie ist das Geschlechterverhältnis in deinem jetzigen Arbeitsumfeld und wie wirkt sich das aus?
Das Verhältnis ist so: Neben dem Orgapersonal, das durchgehend weiblich ist, gibt es inklusive mir vielleicht 10-15 % Frauen* in einem sehr beschränkten Arbeitsumfeld, also in einer Gruppe. In ähnlichen Gruppen gibt es gar keine Frauen*. Das ist spürbar.
Aber worin liegt das Problem, in der Überzahl von Männern oder in ihrem Verhalten?
Sie verhalten sich ja so, wie sie sich verhalten, weil sie in der Überzahl sind.
Das Problem ist, dass du als Frau* isoliert wirst, als Frau* wirst du nicht um deine Meinungen gefragt zu wissenschaftlichen Problemen, du fühlst dich nicht als Teil der Gruppe und wirst beispielsweise nicht eingeladen zum abendlichen Trinken gehen oder ähnliches.
Alltagssexismen sind nicht so schlimm wie diese Isolation.
Andere Forscherinnen*, zu denen ich auf Konferenzen Kontakt schließen konnte, arbeiten auch oft isoliert und sind nicht Teil der Community, sie werden seltener zu Vorträgen oder zur Mitarbeit eingeladen, haben dadurch weniger Publikationen und genau das ist aber das Hauptqualitätsmerkmal in den Naturwissenschaften.
Letztes Jahre war das ein Thema bei den Zeitschriften ‚Science‘ und ‚Nature‘, in den unterdurchschnittlich wenige Beiträge von Frauen veröffentlicht wurden. ‚Nature‘ übte dann öffentliche Selbstkritik und versprach, in Zukunft öfter auf Frauen* zuzugehen und sie um Beiträge zu bitten. Hast du davon gehört?
Diese Geschichte ist mir bekannt, aber ich fürchte, das sind leider nur leere Lippenbekenntnisse. Eine der Zeitschriften brachte dann einen Spezialartikel zu Frauen* in den Naturwissenschaften heraus. Ich finde es gut, dass dieses Thema angesprochen wurde, es darf aber nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben. Es müssen auf verschiedenen Ebenen aktiv Frauen* eingeladen werden: zu Vorstellungsgesprächen, zur Zusammenarbeit, zu Vorträgen. Das Problem ist: Es muss eine Veränderung in den Köpfen stattfinden und dazu braucht es keine Top-Down Entscheidungen, dazu müssen alle beitragen.
Es braucht eine Erhöhung des Frauen*anteils auf allen Ebenen, aber zum Beispiel auch allgemein die Erhöhung des Anteils von Personen aus weniger privilegierten gesellschaftlichen Schichten.
Inwieweit sind Sexismus oder andere Diskriminierungsformen ein ansprechbares Thema bei anderen Betroffenen die du kennst, welche Strategien des Umgangs gibt es und wo findet Austausch darüber statt?
In Europa oder im deutschsprachigen Raum gibt es keine Organisation für Frauen* in den Naturwissenschaften. In Amerika gibt es eine solche Organisation, hier fehlt aber eine entsprechende Plattform. Konferenzen gibt es zwar, aber kein großes gemeinsames Bekenntnis. Das merkt man auch in Situationen, in denen sich Frauen* gegen andere Frauen* stellen, beziehungsweise fallen den wenigen, die es in Spitzenpositionen geschafft haben, Benachteiligungen gar nicht mehr auf und sie sind nicht gewillt, anderen Frauen* zu helfen. Bei Peers bedeutet das Zugeben von Diskriminierungen, eine Schwäche zuzugeben, und das will niemand, weil viele damit auch schlechte Erfahrungen gemacht haben.
Die Diskussion wird, wenn sie stattfindet, oft zu einem persönlichen Problem gemacht, etwa im Sinne von: “Sie beschwert sich, sie will damit nur überdecken, dass sie keine gute Naturwissenschaftlerin ist.” Das macht den Kampf gegen Sexismen sehr schwierig.
Wie hat sich dein Erleben von Sexismus im Laufe deiner Unikarriere verändert? Was waren positive und negative Highlights, ließ sich eine Veränderung feststellen (z.B. mehr Anerkennung in höheren Semestern, weniger Freiraum in weniger anonymen Arbeitsräumen..?)
Am Anfang ist mir das alles nicht so aufgefallen, ich war auch nicht entsprechend sensibilisiert. In Übungen und Vorlesungen während meiner Studienzeit war transparent, welche Leistungen man erbringen musste, um weiter zu kommen. Dadurch, dass es diese relativ transparenten Bewertungen gibt (es gibt trotzdem Ungerechtigkeiten), ist es leichter “gut” zu sein und sich “gut” zu fühlen. Beginnend mit der Diplomarbeit werden die Kriterien, um als gut anerkannt zu werden, weniger klar und es kommen zwischenmenschliche Mechanismen ins Spiel von denen Männer profitieren. Das passiert dadurch, dass die Naturwissenschaft nach wie vor sehr männlich geprägt ist, vor allem die Professor*innenkurie. Da gibt es wenig Platz für Diversifizierung.
Menschen, die nicht dem weißen, männlichen Ideal entsprechen, fühlen sich oft weniger wohl, werden weniger anerkannt und auch nicht als “gut“ erkannt.
Sind dir und deinen Kolleg*innen Maßnahmen bekannt, welche die Uni Wien zur Verfügung stellt, um Gleichbehandlung zu erreichen? Hast du sie in Anspruch genommen und für wie wirksam hältst du sie?
Es gab ein Mentoring-Programm, an dem ich jedoch nicht teilgenommen habe.
Der Einstieg war kompliziert und nur zu einem gewissen Zeitpunkt möglich. Es schien auch hauptsächlich für Postdocs, also bereits Habilitierende, gedacht zu sein.
Ich weiß nicht, wie gut diese Programme sind, es gibt aber auch zu wenig.
Was mit Ausschuss für Gleichbehandlung etc.?
Darüber kann ich nichts sagen, mir ist aber aufgefallen, dass gerade bei Bewerbungsgesprächen nach wie vor Sexismus und Nepotismus vorherrschen. Und dieser Nepotismus hilft in den Naturwissenschaften Männern und benachteiligt Frauen*.
Kennst du denn an der Uni Wien auch Wissenschaftlerinnen, die quasi eine Vorbildrolle einnehmen?
Das ist sehr schwierig, aber es gibt soweit ich weiß eine Biochemikerin namens Schröder[2], die mir imponiert hat. Sie ist auch feministisch und rücksichtslos darin, zum Beispiel ist sie aus der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ausgetreten aus Protest gegen die dortige vorherrschende Männerbündelei und Dominanz des CV[3], soweit ich weiß.
Wie sensibilisiert sind deine Kolleg*innen und Betreuer*innnen gegenüber dem Thema Sexismus und Gleichbehandlung?
Das sind sie überhaupt nicht, ich denke aber auch nicht dass es helfen würde, sie in entsprechende Workshops zu setzen. Wenn ich Probleme anspreche, werde ich überhört und ich höre deshalb zwar auch nicht auf, weil Schweigen mir nicht helfen wird – aber es gibt scheinbar bei vielen eine Weigerung, über sich selbst nachzudenken.
Hat das deiner Meinung nach etwas mit dem Fach zu tun, bzw. sind das spezifische Probleme, die nur auf dein Fach oder die Naturwissenschaften zutreffen?
In unserer Gesellschaft werden die Naturwissenschaften immer noch männlich dominiert, bzw. Männlichkeit wird ihnen zugeordnet. Zum Beispiel wird in den Naturwissenschaften verstärkt auf den Genie-Begriff zurückgegriffen und es gibt ein Bild vom männlichen Einzelgänger, der alleine große Taten vollbringt. Da haben die Stereotype, die Frauen* zugeordnet werden und Frauen* selbst überhaupt keinen Platz. Das ist sicher ein Unterschied zu den Geisteswissenschaften.
Fachspezifisch ist auch die Anwendung von pseudowissenschaftlichen Maßstäben wie dem Hirschfaktor[4]. Solche pseudo-objektiven Maße benachteiligen wieder Frauen*. Ich sage deshalb pseudo-objektiv, weil auch sie den Mann als Ideal heranziehen, der Mann dadurch nochmal besser bewertet wird…
Wie sieht es aus mit Karriereplänen, Zukunftschancen. Hast du das Gefühl oder die Sorge, einen Nachteil durch dein Gender zu erfahren?
Duh!
Es ist sehr trist. Wenn ich mir Karrieren von Wissenschaftlerinnen*, die zehn Jahre älter sind als ich, und deren Lebensläufe ansehe, dann sehe ich darin, wie diese diskriminiert werden/wurden. Es wirkt auch nicht so, als ob es besser wird. Aber ich plane zu kämpfen. Mal schauen was wird.
Lydia
Fußnoten:
1: Anmerkung der Redaktion: Der Frauenanteil in naturwissenschaftlichen Fächern ist extrem unterschiedlich. Während zum Beispiel in der Physik nur 26% Frauen studieren und in der Informatik 28%, sind es in den Ernährungswissenschaften 85%. (Daten von der Universität Wien http://gleichstellung.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/personalwesen/pers_frauen/aktuelles/WEB_gender_im_fokus_2013.pdf [Zugriff 05.03.2014]. Allerdings gilt anzumerken, dass mit insgesamt 50% Frauenanteil in allen naturwissenschaftlichen Studienrichtungen dieser immer noch unter dem Universitätsdurchschnitt von 65% liegt.
2 Gemeint ist Renée Schröder, eine österreichische Forscherin und Universitätsprofessorin am Department für Biochemie der Max F. Perutz Laboratories, ein Joint Venture der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien. s.h. http://de.wikipedia.org/wiki/Ren%C3%A9e_Schroeder [Zugriff 05.03.2014], Anmerkung der Redaktion
3: Cartellverband, katholischer Männerbund.
4 Hirschfaktor: Hirsch-Index: auch h-Index, Hirsch-Köffizient oder h-number genannt. Der Hirsch-Index ist ein biometrisches Maß, das auf Zitationen von Publikationen eines/einer Autor*in zu einem bestimmten Zeitpunkt basiert. Ein hoher h-Index spricht für großen wissenschaftlichen Einfluss des Autors/der Autorin. Der h-Index zur Bewertung wissenschaftlicher Leistungen wurde 2005 von dem argentinischen Physiker Jorge E. Hirsch entwickelt.
Literatur:
- Handbuch zur Gleichstellungspolitik an Hochschulen: Von Der Frauenförderung zum Diversity Management?, Hg: E. Blome, A. Erfmeier, u.a.
- Schröder: http://medienportal.univie.ac.at/uniview/uni-intern/detailansicht/artikel/mikrobiologin-renee-schröder-wird-60/
- Science und Nature Diskussion zum Nachlesen: http://science.orf.at/stories/1708385