„Über einen etwaigen wissenschaftlichen Diskurs zum Leben und Werk Frankos anlässlich der Anbringung der Tafel ist keine Dokumentation vorhanden. Dieser Diskurs wurde nun nachgeholt, nachdem Mitglieder der IKG den Vorwurf erhoben haben, Frankos Werk sei antisemitisch.“[1]
Diese beiden bemerkenswerten Sätze finden sich in einer Pressemeldung, die die Universität Wien am 6. November 2013 veröffentlichte. Thema ebendieser Erklärung ist der Beschluss der Universität eine erklärende Zusatztafel an einer Büste des ukrainischen Schriftstellers Iwan Franko anzubringen, die 1993 am Gang des Instituts für Germanistik errichtet worden war. Diese Tafel war offenbar notwendig geworden, nachdem der Protest gegen die Büste nicht mehr nur von den üblichen Verdächtigen innerhalb der österreichischen Hochschüler*innenschaft formuliert worden war, sondern weitere Kreise zog.
Eben diese weiteren Kreise sind es nun, die die oben formulierten Sätze zum einen so bemerkenswert machen.
„Mitglieder der IKG haben den Vorwurf erhoben“. Diesen Satz sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen.
Mitglieder der israelitischen Kultusgemeinde werfen also der Universität Wien etwas vor; mit anderen Worten und gut österreichisch: Die Juden geben keine Ruhe. Offenbar reicht diese implizite Feststellung und massive Relativierung des Vorwurfes allerdings nicht aus; damit den geneigten Leser*innen auch alles klar ist, muss außerdem noch zum sprachlichen Mittel des Konjunktivs gegriffen werden („sei“), um klarzumachen, dass das schon alles nicht so schlimm ist. Nun, ein Schelm, wer Böses dabei denkt, aber offenbar ist es unangenehm, dass es immer wieder jüdische Stimmen sind, die die ruhigen Kreise der universitären Selbstwahrnehmung stören. Seien es zuletzt Eric Candel, Ruth Klüger oder Robert Schindel (dieser überdies Sohn jüdischer Kommunisten – Jessas!), die sich zur Umbenennung des Lueger-Rings geäußert haben, sei es – und daran erinnert diese Affäre besonders – die Initiative des kanadischen Mediziners William E. Seidelman und von Yad Vashem, die 1995 die Universitäten Wien und Innsbruck nach der Entstehungsgeschichte des Pernkopf-Atlas fragten[2]. Die daraufhin eingeleitete Untersuchung und wissenschaftliche Aufarbeitung bis 1998 wird von der Universität Wien (beziehungsweise der Medizinischen Universität) heute als Good-Practice-Beispiel für den Umgang mit ihrer Vergangenheit verkauft, der Anlass dafür und die Person Eduard Pernkopf allerdings gerne im Hintergrund gehalten. Doch dazu später mehr.
Der zweite Aspekt, der in den eingangs zitierten Sätzen auffällt, ist die begriffliche Unbeholfenheit. Als ob ein „wissenschaftlicher Diskurs“ einfach mal so „dokumentiert“ und, noch besser, dann einfach mal „nachgeholt“ werden könnte. Das Wort, das hier hätte Verwendung finden müssen, wäre „Auseinandersetzung“ gewesen.
Dann hätten die Sätze zumindest inhaltlich Sinn ergeben.
Darüber, warum anstelle von passenden Begrifflichkeiten „Diskurs“ gewählt wurde, lässt sich nur mutmaßen.
Allerdings liegt, will man den Verfasser*innen nicht bloße Inkompetenz vorwerfen, eine Erklärung nahe. Sobald Diskurs dasteht, wirkt das Ganze, und ist es noch so großer Blödsinn, schon fast wissenschaftlich. Es ist also Fassade. Es ist ebenso Fassade, wie die ganze Debatte, die nun dargestellt wird.
Eine Konferenz als Debattenersatz
Um das Ganze besser einordnen zu können, erst eine kurze Darstellung der Geschehnisse. 1993 wurde anlässlich eines ukrainischen Staatsbesuchs eine Tafel des ukrainischen Dichters und Nationalhelden Iwan Franko errichtet. Anwesend waren jeweils ein ukrainischer und ein österreichischer Minister und die allfällige universitäre Nomenklatura. Grund für die Errichtung des guten Stücks war, dass Franko 1892/93 an der Universität Wien studierte.
Obwohl potentiell antisemitische Töne im Werk des Dichters immer – also auch schon zum Zeitpunkt der Errichtung der Tafel – bekannt waren und die Studienvertretung Germanistik immer wieder darauf drängte, dass etwas unternommen werden möge, passierte nun lange Zeit nichts. Erst in den letzten Jahren geriet die Tafel wieder in das Blickfeld von Interessierten und 2013 schließlich wurde sie dank Interventionen der Israelitischen Kultusgemeinde und sekundierenden Medienberichten zu einem so drängenden Problem für die Universität, dass sich jene zum Handeln gezwungen sah.
Dazu erneut ein Zitat aus der eingangs bereits zitierten Pressemeldung:
„Das Rektorat hat Fachgutachten eingeholt sowie das Institut für Slawistik und das […] Doktoratskolleg ,Das österreichische Galizien und sein multikulturelles Erbe‘ beauftragt, eine wissenschaftliche Konferenz zu veranstalten. Die Konferenz ,Iwan Franko und die jüdische Frage in Galizien‘ hat am 24. und 25. Oktober 2013 an der Universität Wien stattgefunden. Es haben ausgewiesene WissenschaftlerInnen aus der Ukraine, aus Polen, den USA, Israel und Österreich teilgenommen.“[3]
das kleine ichbinich
Fußnoten:
1 http://medienportal.univie.ac.at/presse/aktuelle-pressemeldungen/detailansicht/artikel/iwan-franko-universitaet-wien-bringt-zusatztafel-an/, 24.02.2014
2 Der Pernkopfr-Anatomieatlas ist ein anatomischer Atlas, der unter der Leitung des Universitätsprofessors Eduard Perkopf von 1937–1960 herausgegeben wurde. Seine darstellerische Brillanz verdankt sich nicht zuletzt der Tatsache, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit für die anatomischen Skizzen Unmengen an Präparaten von hingerichteten NS-Opfern verwendet worden waren.
3 http://medienportal.univie.ac.at/presse/aktuelle-pressemeldungen/detailan-