Lehrkörper

Biomacht und informelle Machtverhältnisse

Wer über die Universität nachdenkt, hat selten etwas Körperliches im Kopf, schon gar nicht den Zusammenhang von Herrschaft und Körper. Dass gerade ein Nachdenken über den Zusammenhang von Wissen, Macht und Körperlichkeit im akademischen Rahmen wichtige herrschaftskritische Erkenntnisse liefern kann, möchte ich im Folgenden zeigen.

UNIVERSITÄT – RAUM OHNE KÖRPER?

Die Universität ist ein Raum, der Wissen schlechthin repräsentieren soll. Die ‚Academia‘ stellt sich als Institution dar, die abseits anderer ‚materiellerer‘ Institutionen v.a. durch geistige Aktivität zustande kommt. Dies spiegelt auch den Anspruch, ‚universitas‘ – die Gesamtheit aller geistigen Dinge – zu vertreten wider: diese Gesamtheit hat gerade deshalb, weil sie rein geistig ist, weil sie von keinerlei weltlichen Substanz getragen wird, vermeintlich einen absolut neutralen und objektiven Charakter. Sie ist selbst nicht verkörpertes Objekt, sondern objektiviert nur, stellt sich damit außerhalb der Gesellschaft und deren Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Sie imaginiert sich insofern als ein Raum ohne Körper. Alle Menschen die mit ihr zu tun haben, müssen sich gewissermaßen Entkörperlichen. Sie ordnen sich als Studierende, Lehrende und wissenschaftliche Angestellte und schließlich Professor_innen einer gleichsam geistigen Hierarchie unter, die durch reines (Mehr-)Wissen begründet sei.

Dass dies eine hochgradig ideologische Vorstellung ist, davon zeugen schon all jene Personen, die ultimativ auf das Körperliche – ihre körperliche Arbeit – reduziert werden und das Funktionieren der Universität überhaupt erst ermöglichen. Es sind dies die vielen putzenden, organisierenden, reparierenden und in sonstiger Weise erhaltenden sehr körperlichen Wesen, die für gewöhnlich nicht als Teil der Universität wahrgenommen werden, ja sogar nahezu hermetisch von der ‚eigentlichen‘ Academia abgeschirmt erscheinen.

An ihnen wird deutlich, was eine kritische Analyse allgemeiner erweist: die Universität ist kein Raum jenseits gesellschaftlicher Macht- und Herrschaftsverhältnisse, sie ist vielmehr ein ganz spezifischer Ausdruck jener Verhältnisse. Diese Verhältnisse sind auf viele Weise hierarchisch determiniert, omnipräsent ist allerdings die Prägung entlang der Achsen ‚Geschlecht‘ und ‚Ethnie/Herkunft‘. Aufs Körperliche reduziert und dabei zugleich unsichtbar sind insbesondere Frauen* und Menschen mit Migrationshintergrund.

BIOMACHT, SELBSTTECHNOLOGIE

Wenn wir versuchen den Charakter dieser Herrschaftsverhältnisse zu durchschauen, ist es hilfreich, die enge Verzahnung von Wissen, Macht und Körperlichkeit in modernen Gesellschaften zu verstehen. Wie u.a. der französische Theoretiker Michel Foucault nachwies [1] , haben sich Macht und Herrschaft in der Moderne umfassend verändert. Während in früheren sozialen Verhältnissen eine unmittelbare und umfangreiche Einbindung in mehr oder minder klar abgesteckte Zusammenhänge vorzufinden war, etablierte sich mit der Moderne zum ersten Mal das unabhängige, atomisierte (vereinzelte) und sich (‚bewußt‘) selbst konstituierende Subjekt. Für die Herausbildung dieser Subjekte ist es relevant, dass sie zumindest teilweise nicht mehr unmittelbar offensichtlichen Herrschaftsverhältnissen unterworfen sind: sie werden im bürgerlichen Sinne ‚frei‘, haben also die Möglichkeit sich selbst zu erschaffen und zu reproduzieren. Dass diese Möglichkeit immer auch gleich Zwang ist, dass die subjektive Freiheit überhaupt nur deshalb existiert, weil sie mit der objektiven, gesellschaftlichen Notwendigkeit verbunden ist, das eigene Überleben alleine für sich selbst zu sichern, ist die eine Seite.

Die andere Seite ist, dass dieser Prozess der Selbstwerdung immer stark mit Wissen und Selbst-Reflexion verbunden ist. In der Moderne sind die Menschen als geistig-körperliche Wesen nicht einfach da, sie werden in ihrem Handeln nicht unmittelbar oder zwanghaft von den Verhältnissen bestimmt, sondern sie müssen sich idealtypisch durch geistige Eigenleistung selbst erschaffen. Nichts weniger besagt das berühmte ‚sapere aude‘ von Kant. Das subjektiv-geistige Moment ist dabei aber ganz zentral für die Form, in der moderne objektive Herrschaftsverhältnisse sich perpetuieren. Sie tun dies nicht unmittelbar, sondern vermittelt, nämlich durch jene – geistig (bzw. bei Foucault diskursiv) vermittelte Macht, die durchaus auch produktiv, nämlich Subjekt-schaffend, wirksam ist.

Evident wird dieser geistige Charakter der Selbstwerdung des Subjekts in der bürgerlichen Aufklärung und ihrem idealistischen Bild des Menschen als Vernunftwesen. Das in dieser vermeintlich positiv zu bewertenden, Freiheit bringenden Aufklärung sehr viel Herrschaft steckt, hat nicht zuletzt die feministische Kritik der Aufklärung erwiesen – das zu schaffende Subjekt ist nämlich symbolisch-strukturell ein männliches, weißes, westliches, mitsamt all der stillen Voraussetzungen, die jenes ‚Idealsubjekt‘ in sich birgt.

Die Produktivität der Macht ist demnach keine, die im luftleeren Raum angesiedelt ist. Die geistigen, vernunftbegabten Subjekte sind letztlich immer auch körperliche und die produktive Macht stets auch kristallisierter Ausdruck von Herrschaftsverhältnissen. So wird mit der Moderne nicht nur das freie und denkende Subjekt geschaffen, sondern auch die sogenannte ‚Biopolitik‘ – die (Selbst-)Steuerung und Kreierung der Bevölkerung als Ausdruck national-staatlicher Imperative. Mit dem (Wissen über das) Subjekt wird auch der Körper geschaffen und zwar auf individueller Ebene, aber auch auf der aggregierten Ebene von Gesellschaft, Staat und Nation. Mit dem individuell geschaffenen Körper korrespondiert der ‚Volkskörper‘ und der Staatsdiskurs, der ihn reproduziert. Körper und Wissen bzw. das verkörperlichte und geistige Subjekt sind also eng verzahnt und in das Verhältnis der beiden ist Herrschaft unmittelbar eingeschrieben.

UNIVERSITÄT UND GESELLSCHAFTLICHE MACHT- UND HERRSCHAFTSVERHÄLTNISSE

Diese Erkenntnisse können auf die scheinbar neutrale gesellschaftliche Institution Universität angewandt werden. Zweierlei wird dann deutlich: Einerseits ist die Universität selbst Träger moderner Verhältnisse, sie ist als ‚Staatsapparat‘ aktiv daran beteiligt, jenes Wissen zu produzieren, dass für die Aufrechterhaltung der herrschenden Ordnung notwendig ist. Ihr Wissen ist deshalb nie neutral, sondern immer auch herrschaftliches Wissen. Deutlich wird dies z.B. in den bekannten Tendenzen der Ökonomisierung der Hochschulen.

Andererseits ist die Universität Ausdruck der versteckten Hierarchisierung, welche sich als Effekt der scheinbar freien und gleichberechtigten Subjektwerdung ergibt: ‚Besser‘ und ‚vollständiger‘ sind jene Subjekte, die möglichst viel wissen, die Vernunft und Rationalität in Reinform repräsentieren und sich damit auch gänzlich transzendental – also ‚unkörperlich‘ – selbst erschaffen. Erneut gilt es herauszustreichen, dass diese Subjekte niemals wirklich neutral sind, ihre Vernunft nicht wirklich objektiv ist. Die Neutralität und Objektivität basiert stets auf versteckten Prämissen, die v.a. von patriarchaler Herrschaft zeugen – das entsinnlichte, körperlose und ‚vernünftige‘ Subjekt ist der westlich-weiße ‚Mann‘.

Dieses Subjekt findet sich nun auch an der Universität, ja diese soll idealerweise in Reinform nur die Summe solcher Subjekte sein. Dass aber dennoch ein körperlich-materieller Bezug besteht, auch die reine Kopfarbeit mit der Handarbeit verbunden ist, versinnbildlicht das obige Beispiel jener putzenden und reparierenden meist weiblichen Körperschaft, welche für die ‚substanzielle‘ Reproduktion der Universität verantwortlich ist und deshalb eigentlich auch als Fundament verstanden werden könnte, ohne dem die Institution keinen Tag lang funktionieren würde.

Eine mögliche herrschaftskritische Strategie ist es, den Zusammenhang von Körper und Wissen als einen machtvermittelten nachzuzeichnen und damit die gleichsam ultimative Trennung beider zu subvertieren. Hierdurch wird aufgezeigt, wie Herrschaftsverhältnisse sich gerade dann auf subtile Art in Subjekten verkörpern, wenn die Rede von Körperlichkeit weit hergeholt erscheint.
Wie also die ‚Biopolitik‘ auch und gerade dann funktioniert, wenn somatische (körperbezogene) Momente auf den ersten Blick keine Rolle spielen. Die Zuspitzung des Wissen-Macht-Komplexes an den Universitäten führt dazu, dass sich spezifische Disziplinar-techniken entwickeln, die es zu verstehen gilt. Um deren herrschaftsförmigen Charakter zu dechiffrieren, ist es sinnvoll, diese Techniken und Machtformen auf konkrete Körper rückzubeziehen und die scheinbar neutral und allgemein auftretenden universitären ‚Wissenssubjekte‘ zu substantiellen zu machen.

EIN PRAKTISCHES BEISPIEL: LEHR- UND STUDIERENDENKÖRPER

Verdeutlichen lässt sich der Zusammenhang an typischen Situationen, wie sie an der Universität alltäglich vorzufinden sind. So z.B. am Verhältnis von ‚Lehrkörper‘ und Studierenden. Dieses ist durch eine Wissenshierarchie geprägt, die begründet erscheint: die einen haben Wissen, dass sie teilen können, die anderen möchten es erhalten. Hierfür wird ein sich verändernder didaktischer Rahmen geschaffen, der den Wissenstransfer ermöglichen soll.
Lehrende und Studierende sollten formal je nach der zu lehrenden Sache in unterschiedlichen Beziehungen stehen, die primär durch den Gegenstand bestimmt sind. Allerdings deutet bereits die Bezeichenbarkeit aller Lehrenden als ‚Lehrkörper‘ darauf hin, dass die Subjektposition‚ Lehrender‘ nicht alleinig durch das Ziel Wissenstransfer‘ bestimmt ist. Die Lehrenden bilden gegenüber den vereinzelt auftretenden Studierenden tatsächlich so etwas wie eine verkörperte Überinstanz. Sie treten als durch ihre hierarchische Position und ihre Funktion definierte Instanz auf, die sich gegenüber den Studierenden trennt. Dies wird zumeist durch Förmlichkeit, distanzierten Umgang und andere vermeintlich ‚professionelle‘ Tugenden erreicht. Jene Trennung hat allerdings vielfach nicht nur didaktische oder institutionelle Hintergründe, im Gegenteil scheinen diese oft gar keine große Rolle zu spielen.

Dies ist deshalb so, weil der Lehrkörper auch Ausdruck der disziplinären Funktion des Staatsapparats Universität ist. Es geht darum, das ‚Studivolk‘ zu formen und in eine gewisse Richtung zu lenken, gesellschaftliche Elite zu schaffen – heute mitunter auch so, dass jene selbst davon nichts weiß. Denn diese Elite zeichnet sich nicht nur, wie es früher der Fall war, durch eine klare gesellschaftliche Position und Funktion aus, sondern konstituiert sich in Zeiten einer präkarisierten ‚Wissensgesellschaft‘ qua Wissenssubjektivität selbst. Das Streben nach Wissen und die damit verbundenen Privilegien entstehen über Umwege und weitgehend selbstgesteuert. Wichtig hierfür ist rationale, distanzierte und reflektierte Selbsterschaffung als Wissens-Subjekt, die an der Universität erlernt wird. Die wird durch die Lehrenden angeleitet, wobei sich die Studierenden im Idealfall immer mehr hin zum akademischen Zentrum, repräsentiert durch den Lehrkörper, entwickeln. Eine damit verbundene (partielle) Überwindung der Distanz von Studierenden und Lehrenden – oft versteckt als eine Art Initiation in die ‚akademische Gemeinschaft‘ – ist Weg und Ziel dieser Subjektivierung.

Jene Selbsttechnologie die zur Verkörperung des ‚idealen Studierenden‘ führen soll und das implizite Ziel der Lehrenden als Disziplinar- und Führungsmacht ist, schließt jedoch zahlreiche Menschen aus. Sie setzt Körper voraus, die bereits die ‚Anlagen‘ für die angestrebte Verkörperung von Wissen aufweisen. Sie müssen in spezifischer Weise gebildet sein, offen für kritisches Denken und möglichst frei von allzu ‚praktischen‘ Veranlagungen. Dies allein garantiert die Flexibilität, die der Studierendenkörper heute erzielen soll. Menschen, die auf Grund ihrer sozialen Position pragmatischere oder gezwungenermaßen weniger freie Zugänge zu Wissen haben, bleiben außen vor. Regelmäßig sind dies in den westlichen Zentren Migrant_innen und Menschen mit proletarischem Hintergrund. Früher waren jene direkt von der akademischen Subjektivierung ausgeschlossen, heute funktioniert der Ausschluss viel subtiler – marginalisierten Gruppen ‚klebt‘ ihre Herkunft im doppelten Sinne (qua Macht/Wissen, aber oft auch unmittelbar leiblich) an und sie werden deshalb vom Zugang zur privilegierten Subjektivierung ausgeschlossen.

Beispielhaft zeigt sich dies daran, dass es jenen Studierenden schwerer fällt, die formalen Grenzen zu überschreiten, sie etwa selbst nach angebotenem ‚Du-Wort‘ bzw. Versuchen der Einebnung akademischer Distanztechniken diese weiterhin aufrechterhalten. Während solche Studierende, die – meist durch Eltern und soziales Umfeld – eine umfänglichere bzw. ‚funktionierende‘ bürgerliche Subjektivierung erfahren haben, entweder positiv auf die Integrationspotentiale reagieren, oder diese eventuell auch explizit ablehnen (z.B. eben als herrschaftsstabilisierende Form falscher ‚Verbrüderung‘), haben jene, die von vorneherein marginalisiert waren, die Möglichkeit dieser Wahl gar nicht.

Ihnen fehlt das dazu nötige (subjektiv-verkörperlichte) Wissen. Die Chance einer Aufnahme in oder Annäherung an die akademische Community des Lehrkörpers ist damit von vorneherein verbaut. Damit werden gewisse Studierende regelmäßig zu akademischen Subjekten zweiter Klasse, sie stellen die ‚anderen Köper‘ dar, die es nicht zustande bringen, das ‚verkörperte Wissen‘ zu werden. Hier zementieren sich Herrschaftskonstellationen, die es auch außerhalb der Universität gibt. Biopolitische Imperative, welche die westlichen Nationalstaaten in der Krisenvergesellschaftung des 21. Jahrhunderts prägt – der Ausschluss der ‚Anderen‘ aus dem Volkskörper – reproduzieren sich im Mikrokosmos Universität.

Welche emanzipatorischen Konsequenzen lassen sich hieraus ziehen? Festzuhalten ist, dass der Verkörperung von Macht-Wissen durch subtile Techniken schwer mittels einfacher Maßnahmen beizukommen ist. Sie sind integraler Teil des Systems Universität und der von ihm geschaffenen Subjektpositionen. Im obigen Beispiel können weder Studierende noch Lehrende alleine etwas an der durch ihr Verhältnis reproduzierten Herrschaftsbeziehung ändern. Sinnvoll wäre es vielleicht, wenn sich beide Seiten durch Reflexion des herrschaftlichen Zusammenhangs von Wissen und Körper angeregt jeweils getrennt assoziieren und Auswege suchen würden. Studierende müssten versuchen, die eigene Hierarchisierung aktiv zu bekämpfen, während Lehrende diesen Prozess durch ein Verständnis ihrer eigenen Position unterstützen sollten. Der Problemkomplex der Verkörperlichung von Wissen bleibt aber auch dann bestehen – denn letztlich werden regemäßig auch gerade jene, die hier schon privilegierte Machtpositionen mitbringen, sich überhaupt erst dafür zu interessieren beginnen – ebenso wie dieser Artikel vermutlich tendenziell von jenen gelesen/verstanden wird, die derartige Privilegien bereits mitbringen…

Elmar Flatschart

1: Vgl. z.B. Foucault, M. 1994. Überwachen und Strafen.Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

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