Über die systematische Exklusion von Frauen von der Universität Wien
Seit Beginn des Wintersemesters 2013/2014 rührt das Rektorat für die Zelebrierung des bald 650-jährigen Bestehens der Universität Wien kräftig die Werbetrommel. Nicht nur kräftig, sondern auch historisch und faktisch falsch. Geradezu omnipräsent sind seit Oktober die Poster und das Merchandise der „Besserwisserin – seit 1365“-Kampagne, durch die sich die Leitung der Universität im Geschichtsrevisionismus übt. Nicht, dass sie nicht bereits genug Übung darin hätte. Dieses Beispiel der Selbstinszenierung als Stätte einer progressiven, egalitären und demokratischen Kultur ist unglücklicherweise nicht das einzige, das eine immense Diskrepanz zu den realen Zuständen an der Hochschule vorweist. Bereits seit der Gründung der Universität Wien strotzt diese nur so vor strukturellen Mechanismen der Exklusion von Frauen als auch Alltagssexismus.
Letzterer findet in einem schockierenden, ekelerregenden Ausmaß statt und äußert sich nicht nur durch sexistische Kommentare von Dozenten (und -innen!) „vom alten Schlag“ oder antifeministischen, konservativen Bemerkungen von Kommilitonen (und -innen!) in Lehr-
veranstaltungen oder durch unfaire Benotungen. Nein – auf Fakultätskonferenzen werden Wissenschaftlerinnen der Universität Wien von ihren Kollegen diskreditiert und diskriminiert. Auf Institutsweihnachtsfeiern wird Frauen von pragmatisierten Chauvinisten wie einem gewissen Dr. phil. am Institut für Zeitgeschichte, gegen den bereits mehrere Disziplinarverfahren eingeleitet wurden, auf die Brüste gestarrt und simultan verbal verdeutlicht, dass keine ihrer Aussagen Wert oder Legitimation besitzt. Dies dient dann einem Teil der angetrunkenen männlichen Belegschaft zur Belustigung.
Solche Fälle stellen unglücklicherweise weder Ausnahmen noch die gravierendsten Übergriffe dar. Sexismus hat hier also System und Struktur – und dies schon seit der Gründung der Alma Mater Rudolphina 1365.
Österreich war neben Preußen das letzte Land in Europa, welches Frauen zum Studium an der Universität zuließ. 1897 wurde Studentinnen der Zutritt zur Philosophischen, 1900 zur Medizinischen und 1919 zur Juridischen Fakultät gestattet. Anzumerken ist, dass zu jener Zeit nicht bloß die Anzahl der außerordentlichen und ordentlichen Hörerinnen extrem gering war, sondern auch die jener Frauen, denen es überhaupt möglich war, eine Matura abzulegen und somit die Hochschulreife zu erlangen. Denn laut dem vorherrschenden androkratischen Kanon war die Gesellschaft in die private und die öffentliche Sphäre zu trennen und Frauen sollten demnach abgeschottet in der Privatheit ihr Dasein fristen. Außerdem wurde der Charakter der Universität als ein berufsbildender, nicht allgemeinbildender verstanden und bloß Männern die Ausübung von Karrieren wie der des Arztes, Richters etc. bzw. das Interesse daran zugestanden. Beides äußerte sich in einem Gutachten des Akademischen Senats von 1873 durch diese Feststellung: „(…) so lange der Schwerpunkt der Leitung der sozialen Ordnung noch in dem männlichen Geschlecht ruht, liegt auch keine Nötigung vor, den Frauen an der Universität ein Terrain einzuräumen, welches in den weiteren Folgen unmöglich zu begrenzen wäre.“ [1] .
Des Weiteren wäre es notwendig, die Wissenschaft „für Frauen angemessener“ zu gestalten, worunter die männliche „Elite“ zu leiden hätte. Auch die Gefährdung der moralischen Sitte durch die Vermischung der Geschlechter an der Hochschule war ein Argument für die Vertreter der Universität Wien, um Frauen weiterhin den Zugang zum Studium zu verunmöglichen oder zumindest zu erschweren, obwohl diese bis 1971 ohnehin sozioökonomisch immens gut situiert sein mussten, um ein Studium verfolgen zu können. [2] Kurz: Frauen stellten durch ihre angebliche sexuelle Wollust eine Ablenkung und Bedrohung der „Leistungsträger“ und „Elite“ Österreichs dar und wären außerdem zu dämlich und inkompetent, um einer (akademischen) Karriere nachgehen zu können – ein erbärmlicher Versuch der Verschleierung der Ebenbürtigkeit von Frauen und ein Ausdruck der Angst vor weiblicher Konkurrenz.
Von 1933 bis 1945 wurden jüdische und dem „linken“ Spektrum zugeordnete Wissenschaftler*innen, darunter Elise Richter, vertrieben, verfolgt und exekutiert. Die Exklusion von Frauen aus dem akademischen Umfeld war Teil der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Ideologie und bedeutete eine Zäsur in der Umsetzung von intellektuellen und beruflichen emanzipatorischen Bestrebungen von Frauen in der Zwischenkriegszeit [3] . Diese ist immer noch präsent und wirkt in den gegenwärtigen Hochschulbetrieb hinein, z.B. in Form der Männerbündelei im Cartellverband oder deutschnationalen Burschenschaften, innerhalb derer Beziehungen für die zukünftige Karriere geknüpft werden bzw.die oftmals als Karrieresprungbrett dienen.
Der Unwille der Universität Wien, die Vergangenheit zu thematisieren und aufzuarbeiten bzw. die entschlossene Tabuisierung dieser zeigt sich unter anderem in der Benennung von zwei Sälen nach Elise Richter, eine der vermutlich vielen Frauen, die dem Matilda-Effekt 4 zum Opfer fielen, und Marietta Blau. Dies ist bloß ein lächerliches Instrument der Selbstinszenierung als bezüglich der Gleichstellung der Geschlechter progressive Institution gegenüber der Öffentlichkeit, vor allem wenn im Arkadenhof den Büsten von ausschließlich männlichen, teils höchst antisemitischen Wissenschaftlern eine einzige Gedenktafel einer Frau, Marie von Ebner-Eschenbach, gegenüber steht. Von der aufrichtigen Würdigung szientifischer Errungenschaften von Frauen kann also nicht die Rede sein.
Denn obwohl 2013 die Zahl der Absolventinnen von BA-, MA- und Doktoratsstudien beinahe in jeder Studienrichtung höher war als die der Absolventen, wurden Professuren 2012 zu 61% an Männer vergeben. Den Vorsitz stellen in Berufungskommission sieben Männer und – ja, genau – null Frauen. Auch in Habilitationskommissionen stehen drei vorsitzende Frauen 18 Männern gegenüber und doppelt bis dreimal so viele Männer als Frauen üben Stellen als Professor*innen oder Dozent*innen und Leitungsfunktionen als (Vize-)Dekan*innen, (Vize-)StudienprogrammleiterInnen oder Institutsvorstehende aus (Hallo, Gläserne Decke!). Ein (struktureller) Grund hierfür ist die Erschwerung bzw. Verunmöglichung der Vereinbarkeit von Familien- und Privatleben und Beruf. 5 Andere Gründe sind zum einen die Tatsache, dass „Ähnlichkeit im Sinne von Geschlecht und sozialer Herkunft eine große Rolle bei Förderbeziehungen spielt“ [6] , zum anderen unmittelbare Misogynie.
Selbstredend bestehen Instanzen wie das 2000 gegründete, höchstengagierte Referat für Frauenförderung und Gleichstellung, der Gender-Ausschuss der geisteswissenschaftlichen Fakultäten und der Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen. Letzterer gleicht allerdings einer Farce: Er übt eine beratende, nicht bindende Funktion aus und hat als Einrichtung, welche sich vor allem dem Vorgehen gegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verschrieben hat, einen männlichen Vorstand.
Außerdem weisen die Notwendigkeit der Etablierung der «Gender Studies» und des Studiums der «Frauen- und Geschlechtergeschichte» sowie die «Sammlung Frauennachlässe» auf den offensichtlichen Androzentrismus in der Forschung hin, welcher Frauen nicht nur als Akteurinnen ausblendet, sondern auch deren Aufzeichnungen als Quellen kaum oder nicht beachtet.
Die Existenz solcher wichtiger Institutionen verweist also auf die Allgegenwärtigkeit von sexistischen und patriarchalen Strukturen und Methodiken. Diese werden nicht nur toleriert oder akzeptiert, sondern oftmals gar befürwortet und forciert.
Die Universität Wien ist eine der Stätten, an denen dies geschieht. Sie versucht noch dazu, oberflächliche Schönungen und Selbstbeweihräucherung vorzunehmen, um die realen Zustände zu tabuisieren und vertuschen.
Ihr Vorgehen sowie die konstante Aufregung von Mitarbeiter*innen und Studierenden über Frauenquoten und die Förderung und Umsetzung von Projekten, Lehrveranstaltungen, Studien etc. zur Unterstützung von Frauen bestärken mich und andere darin, dass radikal-feministische Arbeit und Kritik mehr als notwendig ist und fortgeführt werden muss.
Tina Sanders
Fußnoten:
1: Zit. bei Karl Lemayer, Die Verwaltung der österreichischen Hochschule von 1868 bis 1877 (Wien 1878) 97 f. in: Waltraud Heindl, Marina Tichy, Durch Erkenntnis zu Freiheit und Glück…“. Frauen an der Universität Wien (ab 1897) (Wien 1990) 19.
2: Sylwia Bukowska, Referat Frauenförderung und Gleichstellung, Frauen – Leben – Wissenschaft. 110 Jahre Wissenschafterinnen an der Universität Wien (Wien 2007)
In den 1970ern führte die Abschaffung der Studiengebühren sowie eine stärker ausgeprägte Bildungspolitik zu einem rasanten Anstieg von – vor allem weiblichen – Studierenden. Allerdings ist das Leben als Student*in immer noch fast ausschließlich Menschen mit privilegiertem finanziellen Hintergrund vorbehalten.
3: ebd.
4 http://edoc.bbaw.de/volltexte/2007/388/pdf/20oEFZF4qxqJs_388.pdf (Stand: 17.2.2014) Der Terminus des «Matilda-Effekts», eine Weiterentwicklung von Mertons «Matthäus-Effekt», wurde von Margaret W. Rossiter begründet und besagt, dass Frauen und ihre wissenschaftlichen Beiträge oftmals kein oder kaum Ansehen fanden und finden und dass ihre Erkenntnisse stattdessen männlichen Forschern zugeschrieben wurden und werden.
5 http://gleichstellung.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/personalwesen/pers_frauen/aktuelles/WEB_gender_im_fokus_2013.pdf (Stand: 15.2.2014) 31. 35. Die hohe Anzahl von Frauen, welche Elternkarenz in Anspruch nehmen und Teilzeitarbeit vollbringen, weisen auf ungleiche Ressourcen- und Arbeitsaufteilung und eine damit einhergehende Doppelund Dreifachbelastung von Frauen (Haushaltsführung, Kindererziehung und Beruf) hin. Dies ist allerdings ein gesamtösterreichisches Phänomen.
6 http://gleichstellung.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/personalwesen/pers_frauen/aktuelles/WEB_gender_im_fokus_2013.pdf (Stand: 15.2.2014) 62.