649 Jahre und doch nichts gelernt?

Ein Versuch der Versöhnung.

Wenn eine Universität Jubiläum feiert, tut sie das wohl, um ihr Image zu erneuern, zu unterstützen oder aufzubessern. Bei der Uni Wien ist das nichts anderes. Aber ist das unbedingt ein schlechtes Zeichen für eine Universität, wenn sie sich dem Imagekampf ausliefert? Wenn sie versucht, durch Jubiläumsfeiern ihr Standing in der Gesellschaft zu verbessern?

Wir blicken zurück ins Jahr 1965 zur 600-Jahr-Feier der Universität Wien.
Vor allem in eine Zeit, in der die Entnazifizierung selbst an den Universitäten nicht unbedingt fruchtbar war. In der Burschenschaften schon seit über zehn Jahren wieder zugelassen waren und in der Mitte der Gesellschaft wieder fleißig ihre deutschen Lieder gesungen haben. Und in eine Zeit, als der Siegfriedskopf, Denkmal und Gedenkort, stellvertretend für die im Ersten Weltkrieg gefallenen «Helden» der Uni Wien noch in der Aula präsentiert wurde. Ein Denkmal, das bis heute einem uniformierten, rechtsradikalen Männerbündel als Pilgerstätte dient.
Die Vorstellung, dass Mitte der 60er Jahre in Österreich revisionistische und deutsch-nationale Burschenschaften für ihre Alma Mater einen Umzug um den Wiener Ring veranstalteten und genau dort am Heldenplatz einen Opferkranz für die Bombenopfer Wiens im Zweiten Weltkrieg niederlegten, ist in Hinblick auf das Jubiläum 2015 nicht weniger aktuell als damals. Sich zudem knapp 50 Jahre danach nicht einmal damit auseinanderzusetzen, scheint mehr Bedienung als Reflexion des österreichischen Opfermythos zu sein.

Wer ist hier das Opfer?
Der Austrofaschismus und der damals schon vorherrschende Antisemitismus in den öffentlichen Institutionen Österreichs führte 1938 schlichtweg dazu, dass nicht mehr viel zu tun war, um dem Nationalsozialismus die Tore zu öffnen. An der Uni Wien wurden 45% der Studierenden und Lehrenden aus dem Lehrbetrieb ausgeschlossen und die Leerstellen mit systemtreuen Lehrenden besetzt. Die Entnazifizierung nach der Befreiung vom Nationalsozialismus 1945 trug dann aber auch nicht dazu bei, antisemitische oder rassistische Lehre an der Universität Wien auszuschließen. Exemplarisch dafür und zeitlich an die 600-Jahr-Feier der Uni Wien herangehend steht die Borodajkewycz-Affäre. Zu Beginn der 1960er konnten Alt-Nazis ihre antisemitische und nationalsozialismus-treue Lehre wieder unter die Studierenden bringen. So auch Taras Borodajkewycz. Die Affäre gipfelte im Jubiläumsjahr der Uni Wien 1965 mit heftigen Studierendenprotesten und dem Tod des Antifaschisten Ernst Kirchweger. Obwohl die Mitschriften der Vorlesungen schon 1961/62 an die Öffentlichkeit kamen, dauerte es trotzdem noch weitere fünf Jahre bis Borodajkewycz 1966 endlich pensioniert wurde.

Aber warum sollte uns die Vergangenheit interessieren, wenn wir in die Zukunft blicken können? So meinen es zumindest Vertreter*innen der Uni Wien, wenn es um das Jubiläum geht. Jubiläum bedeutet für sie Außenwirkung, Publicity und Werbung fernab von Selbstreflexion oder historischer Aufarbeitung. Und wenn man schon über die Zukunft sprechen mag, wie soll es dann mit den Jours fixes der Burschenschafter an der Unirampe weitergehen? Diesbezüglich darf man auch einmal die Frage stellen – gerade wenn man schon über die Außenwirkung der Universität spricht – welches Bild Burschen in vollem Wichs, mit Schmiss und in strammer deutsch-nationaler Tradition auf eine Universität werfen, die sich gleichzeitig in der Öffentlichkeit kein Stück weit kritisch mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzt.

Nun, im kommenden Jahr feiert die Uni Wien ihr 650-jähriges Bestehen mit einem schier endlosen Programm. Man will mit einer Leistungsschau die Arbeit der Universität in Forschung und Lehre auch einer „breiteren Bevölkerung“ näher bringen. Vielleicht sehen es die Verantwortlichen wirklich als einen Anlass zum Feiern und daher weigern sie sich vehement gegen jedwede kritische Aufarbeitung der Universitätsgeschichte. Und am Ende bleibt zu sagen: Wenn heute Rechtsradikale und Korporierte in Lehre und Studium an der Uni Wien so gut integriert sind, wie eh und je, dann gibt es keinen Grund zum Feiern. Der Versuch einer Versöhnung bleibt dann ein bisher hoffnungsloser, wenn er denn überhaupt getätigt wurde.

Vince Moon

gezeit